Flüchtlingsunterkunft in Düsseldorf Wie ein Ehrenamtler einer Flüchtlingsfamilie hilft

Düsseldorf · Omar A. und seine Kinder bangten darum, dass ihre Mutter gesund aus Syrien nach Düsseldorf kommt. Ehrenamtler Rolf Lattner unterstützte die Flüchtlingsfamilie.

Ehrenamtler Rolf Lattner (M.) mit (von links) Nader (13), Vater Omar, Sondos (7), Mutter Warda und und Samer (12).

Ehrenamtler Rolf Lattner (M.) mit (von links) Nader (13), Vater Omar, Sondos (7), Mutter Warda und und Samer (12).

Foto: Hans-Juergen Bauer

Als vor einem Jahr der Nikolaus in die Flüchtlingsunterkunft Blankertzstraße der Awo kam, traf unsere Redaktion Sondos (7), Nader (13) und Samer (12) mit ihrem Vater. Die Kinder freuten sich über den Besuch des Nikolaus', trotzdem wirkten sie bedrückt. Auf ihrem Handy zeigten sie Bilder ihrer Heimatstadt Hama: Eine alte Stadt mit prächtigen Bauten und gepflegten Parks, die wie viele syrische Städte in Trümmern liegt. "Alles kaputt", sagt der Vater. Der 46-Jährige macht sich große Sorgen um seine Frau Warda, die die Flucht noch vor sich hat. Den Übersetzer fragt er, wo er Hilfe für sie bekommen kann. Schließlich trifft er Rolf Lattner.

Der 70-jährige Ehrenamtler ist einer der ersten, die sich dafür melden, am Fernbahnhof des Flughafens Flüchtlinge in Empfang zu nehmen. Lattner hat lange als Soldat gearbeitet und danach bei der Firma Shell, für die er viel im Ausland unterwegs war. Als Angela Merkel die Integration von Flüchtlingen "eine nationale Aufgabe" nennt, fühlt sich Lattner angesprochen. Und so gehört er zu denen, die auch mal um vier Uhr morgens am Flughafen ausharren, um die Ankommenden zu versorgen. Daneben hilft Lattner in der Unterkunft an der Blankertzstraße und lernt Omar und seine Kinder kennen. Er begleitet sie zum Gesundheitsamt und zur Anmeldung für die Schule. Als er von Omars Sorgen um die bevorstehende Flucht seiner Frau erfährt, hilft er, wo er kann.

Im Januar kann Warda endlich aufbrechen, in der Türkei schließt sie sich einer Familie an. Dort steht in Izmir die gefürchtete Fahrt mit dem Schlauchboot über das Meer an. "Wann ist ein guter Tag für die Überfahrt?", fragt Omar immer wieder Rolf Lattner. Der erfahrene Segler prüft täglich die Seewetterdaten. Als für einen Tag wenig Wind angekündigt ist, entscheiden sie: Warda kann die Fahrt wagen. Die zierliche junge Frau hat auf ihrem Handy ein Foto gespeichert von diesem Moment. Das kleine Schlauchboot vor dem großen weiten Meer. Davor Warda in ihrem bordeauxroten eleganten Steppmantel, den sie heute noch trägt.

Alles geht gut, nach drei Stunden voller Angst erreichen sie Griechenland. Oft weiß Warda nicht genau, wo sie gerade ist und übermittelt ihrem Mann nur ihre Standortdaten. Manchmal hat sie tagelang keinen Empfang, Omar bereitet das jedes Mal große Sorgen. Doch wieder hat sie Glück. Wenige Tage, bevor die Grenze in Idomeni geschlossen wird, kann sie ihre Flucht über die Balkanroute fortsetzen. Anfang Februar kommt Warda endlich in Deutschland an. Lattner gleicht ihre Standortdaten ab und stößt auf eine Kaserne in Trier. Das muss eine Flüchtlingsunterkunft sein. Er holt Omar und die drei Kinder an der Blankertzstraße ab, und sie machen sich in seinem Wagen auf den Weg, um nach fünf langen Monaten der Trennung die Mutter und Ehefrau wiederzusehen. "Das war sehr schön", erinnert sich Nader an die Autofahrt und lächelt. Als sie sich schließlich wiedersehen, wollen die Kinder ihre Mutter gar nicht mehr loslassen. Warda spricht noch kein Deutsch und zeichnet bloß mit den Fingern die Spuren der Tränen über ihrer Wange nach, wenn sie an diesen Moment erinnert wird. Eine Sprache, die jeder versteht. Die Familie kann aufatmen. Aber nur für einen kurzen Moment.

Denn in Düsseldorf geht Lattner mit Warda zur Erstaufnahme an die Vogelsanger Straße. Dort erfahren sie: Die Mutter durfte nicht einfach zu ihren Kindern fahren. Sie muss zurück nach Trier. Nach so kurzer Wiedersehensfreude schon wieder die Trennung? Damit findet sich Lattner nicht ab. Auf der Suche nach einer Lösung hängt er sich ans Telefon und hat Erfolg: Eine Mitarbeiterin der Bezirksregierung Trier hilft ihnen. Lattner kann für Warda einen Urlaubsantrag stellen, sie darf bei ihrer Familie bleiben. Es ist einer von unzähligen Anträgen und Schriftwechseln, die er in zwei prall gefüllten Schnellheftern gesammelt hat. "Das ist ein Bürokratie-Dschungel", sagt Lattner und schüttelt den Kopf. Mit seiner Hartnäckigkeit hat er sich bei manchen Behörden-Mitarbeitern nicht beliebt gemacht. "Ich habe im Außendienst gearbeitet. Da herrscht die Devise, du musst sieben Mal zum Kunden hin, damit es einmal klappt", sagt Lattner. In schwierigen Situationen doch etwas zu erreichen, das reizt ihn. "Da bin ich wie ein altes Zirkuspferd: Wenn es die Musik hört, fängt es an zu laufen. Aber natürlich mache ich das auch, weil mir die Familie sympathisch ist."

Der 70-Jährige hat viel für die Familie erreicht. Über Bekannte konnte er ihnen eine kleine Wohnung vermitteln. Nun besucht Omar einen Integrationskurs und kämpft mit der deutschen Sprache. Die beiden Jungen besuchen ein Gymnasium, haben klare Vorstellungen von ihrer Zukunft: Nader hat in Deutschland eine Brille bekommen und möchte Augenarzt werden. Samer liebt Krimis und möchte Kommissar werden. Sondos, die noch vor einem Jahr schüchtern und zurückhaltend war, ist aufgelebt. "Ich mag die Kinder, und ich mag die Schule", sagt sie und spricht Lattner als "Opa" an. Wenn dieser mit Warda zum Elternsprechtag in der Grundschule geht und von ihren Erfolgen hört, freut er sich genauso wie ihre Eltern.

Das neuerworbene Wissen gibt die siebenjährige Sondos ihrer Mutter weiter. "Ich habe ihr die Zahlen und das Alphabet auf Deutsch beigebracht", berichtet die Zweitklässlerin. Bald startet Wardas Sprachkursus. Sie möchte wieder in ihrem Beruf als Friseurin arbeiten. Omar war als Automechaniker beschäftigt und würde gerne als Busfahrer arbeiten. Rolf Lattner nennt er manchmal unseren "Dschibril", so heißt der Erzengel Gabriel im Koran. Lattner lacht dann verlegen und sagt: "Ich habe euch in mein Herz geschlossen." So ist es auch seiner Frau Ilona ergangen, aus dem Ehrenamt ist eine Freundschaft entstanden. Am zweiten Weihnachtsfeiertag kommt die Familie zu Lattners zu Besuch. Zu essen gibt es rheinischen Sauerbraten mit Rotkohl und Klößen.

(RP)
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