Düsseldorf Wie kriminelle Kinder die Kurve kriegen

Düsseldorf · Lückenschluss im Kampf gegen Jugendkriminalität: Polizei und Pädagogen betreuen ab sofort strafunmündige auffällige Kinder, bevor sie ins kriminelle Milieu abgleiten. Das Land fördert das Projekt.

 Burkhard Hintzsche musste helfen, als Minister Ralf Jäger gestern das lange Strafregister eines 19-jährigen Intensivtäters ausrollte, der "die Kurve nicht gekriegt" hat.

Burkhard Hintzsche musste helfen, als Minister Ralf Jäger gestern das lange Strafregister eines 19-jährigen Intensivtäters ausrollte, der "die Kurve nicht gekriegt" hat.

Foto: Bretz Andreas

Der Name ist geändert, der Fall ist real und aktuell: Kevin, 13 Jahre, geht zur Polizei und zeigt einen Mitschüler an, der einen Stein nach ihm geworfen hat. In der Befragung gibt das vermeintliche Opfer freimütig zu, den Steinewerfer vorher massiv getreten und rassistisch beleidigt zu haben. "Sein Unrechtsbewusstsein ist dürftig", sagt Frank Schier. Früher hätte der Kriminalhauptkommissar einen Vermerk ans Jugendamt geschickt und den Eltern einen Besuch abgestattet. Mehr war nicht drin - der nach eigenen Angaben zur Gewalt neigende Kevin ist nicht strafmündig.

"Die Jugendämter haben bei Kindern oft nur das Kindeswohl und nicht den Opferschutz im Auge", sagt Innenminister Ralf Jäger. Er hat deshalb schon vor zehn Jahren das Konzept "Kurve kriegen" mit entwickelt, das Kinder wie Kevin zwar nicht bestraft, aber sie auch nicht bis zum 14. Geburtstag weitermachen lässt. In acht NRW-Städten sind seit 2011 pädagogische Fachkräfte mit Jugendfahndern im Einsatz für delinquente Acht- bis 13-jährige, suchen und finden individuelle Programme, die den kriminellen Kindern Alternativen zeigen sollen. 5,1 Millionen Euro hat das Programm bislang gekostet, und eine wissenschaftliche Studie belegt: Es hat gut die vierfache Summe eingespart. Wären aus den betreuten Kindern kriminelle jugendliche oder gar Intensivstraftäter geworden, hätten die sozialen Folgekosten für Haft, Erziehungshilfe oder Resozialisierung nämlich um die 21 Millionen betragen. Das heißt, schon bei nur vier Teilnehmern hätte sich das Projekt volkswirtschaftlich gelohnt, tatsächlich wurden 165 Kinder betreut.

In Düsseldorf ist die Lücke, die mit "Kurve kriegen" nun geschlossen worden ist, nicht ganz so groß gewesen wie in den Städten, in denen das Programm als Modellversuch gestartet war. Hier hatten Polizei und Stadt sich bereits 2005 gemeinsam gegen Jugendkriminalität aufgestellt, die Polizei hatte mit einem Einsatztrupp Jugend (ET) ein eigenes Mittel geschaffen, vor allem Intensivtäter im Blick zu halten. Deren Zahl ist seither von 304 auf 71 zurückgegangen, und auch die ganz jungen Täter hat der ET auf dem Radar gehabt, die Eltern besucht oder klare Ansagen gemacht. Das Netzwerk mit Jugendamt und Justiz hatte zudem das "Gelbe Karte"-Programm für jugendliche Ersttäter entwickelt, das die Rückfallquote erstaunlich senkte. Und in Fallkonferenzen werden individuelle Maßnahmenpakete für Intensivtäter unter 21 Jahren geschnürt, in denen durchaus Jugendhaft auch vorkommt.

 145 Delikte stehen darauf.

145 Delikte stehen darauf.

Foto: A. Bretz

Neu ist nun vor allem, sagt der städtische Jugenddezernent Burkhard Hintzsche. dass man den unter 14-Jährigen tatsächliche Angebote machen könne. "Und dass das Land die Kosten übernimmt", wofür er im Namen der Stadt gestern beim offiziellen Startschuss herzlich dankte. Gemeinsam mit freien Trägern wie Awo, Diakonie und dem Paritätischen können so Sport- und Sprachkurse, Lernhilfen und Förderprogramme gestartet werden. In Kevins Fall wird Ruveyda Gül Cantürk, die als "Kurve kriegen"-Pädagogin ihr Büro im Jugendkommissariat hat, zunächst ein Anti-Aggressions-Training mit Therapie empfehlen. Mit dem Jugendamt werden weitere Strategien erarbeitet, auch um Kevins überforderte Mutter zu unterstützen. "Dann hoffen wir auf einen positiven Ausgang".

Innenminister Jäger kann diese Hoffnung mit den Zahlen stärken: 40 Prozent der betreuten Kinder hätten bis zu ihrem 14. Geburtstag die Kurve gekriegt. Wie es aussehen kann, wenn das Programm scheitert oder Eltern die - freiwillige - Teilnahme verweigern, belegt er mit einem Fall aus Köln: 145 Straftaten stehen dort im Register eines 19-jährigen typischen Intensivtäters. Der sitzt zurzeit in Haft.

(RP)
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