Auftritt am Sonntag Wie Türken Erdogans Besuch sehen

Düsseldorf · Der Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan am Sonntag im ISS Dome spaltet die türkische Gemeinde in Düsseldorf. Viele halten den Regierungschef für zu religiös und glauben, er übe einen zu großen Einfluss in Deutschland aus. Andere loben ihn aber für seine Politik.

Wie Düsseldorfer Türken Erdogans Besuch sehen
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Menschen mit türkischen Wurzeln stellen in Düsseldorf nach den Polen (knapp 31 600 Bürger) die zweitgrößte Zuwanderergruppe. Das geht aus neuen Zahlen hervor, die das Amt für Statistik und Wahlen in den vergangenen Wochen ermittelt hat. Demnach lebten Ende 2009 in der Landeshauptstadt bei einer Gesamteinwohnerzahl von 586 000 Menschen 22 700 Türkischstämmige. Doch gerade bei ihnen handelt es sich keineswegs um einen einheitlichen Bevölkerungsteil.

So besitzen zum Beispiel rund 8200 Düsseldorfer Türken (36 Prozent) einen deutschen Pass — und auch der Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan am kommenden Sonntag im ISS Dome wird in der deutsch-türkischen Gemeinde sehr unterschiedlich bewertet. Manche kritisieren den Regierungschef scharf.

"Fast wie ein Wolf im Schafspelz"

"Er ist fast wie ein Wolf im Schafspelz", urteilt Anwältin Gülsen Celebi. Die 39-Jährige wurde als Tochter klassischer Gastarbeiter in Düsseldorf geboren, arbeitete aber auch schon in der Türkei als Menschenrechtsaktivistin und hält Erdogan für einen muslimischen "Fundamentalisten". Dass am Sonntagnachmittag beim Auftritt des Ministerpräsidenten 12 000 Zuhörer erwartet werden, wundert Celebi gleichwohl nicht: "Sein Einfluss auf die türkische Gemeinde ist sehr groß."

Viele fühlten sich von der deutschen Gesellschaft nicht komplett akzeptiert. Bei solchen Türken stoße Erdogan mit seinem Beharren auf religiöse sowie nationale Wurzeln auf Zustimmung, sagt die Juristin, die wie rund 600 000 andere Menschen in Deutschland aus einer kurdischen Familie stammt. Sie wird "auf keinen Fall" an der Veranstaltung teilnehmen.

Das hat Tayar Tunç ebenfalls nicht vor. Der 41-Jährige kam als Kind nach Deutschland. Der Leiter des Taekwondo-Leistungsstützpunktes "Sportwerk" in Reisholz hat wie Anwältin Celebi einen deutschen Pass. Und wie sie sieht er Erdogan kritisch. "Er ist sehr religiös, was ich bei einem Staatsmann für problematisch halte", sagt Tunç. Auch ihn überrascht es kaum, dass viele Menschen Erdogan am Sonntag hören wollen. Allerdings glaubt er, dass die meisten Erdogan-Anhänger nicht aus der Landeshauptstadt kommen: "In Düsseldorf ist die Mehrzahl der Türkischstämmigen gut integriert. Das sieht im Ruhrgebiet anders aus."

Tayar Tunç kritisiert vor allem die Minderheitenpolitik der Regierung Erdogan. "Kurden, Christen und andere Gruppen haben weiterhin weniger Rechte", sagt er — und stößt damit auf Widerspruch bei Hilmi Ugur. Der Türke hat in Deutschland sowie der Türkei Sozialwissenschaften studiert und ist Geschäftsleiter des Supermarktes "Marketim" in Lierenfeld. Am Sonntag wird er sicher zum ISS Dome fahren, um Erdogan zu sehen. "Leute, die ihn kritisieren, kennen nicht den Alltag in der Türkei.

Erdogan ist ein Mann mit Weitblick", meint Ugur. Er selbst verbrachte die vergangenen drei Jahre dort und glaubt nicht, dass Erdogan sonderlich fromm ist. Das wiederum beurteilt Mustafa Kilinç anders. Für den 47-Jährigen, der in der Altstadt einen Kiosk führt, ist Erdogan "viel zu religiös". Und ein anderer Mann, der als Asylsuchender nach Deutschland kam und seinen Namen aus Angst nicht nennt, befürchtet sogar, Erdogan wolle in der Türkei einen Gottesstaat errichten. Das aber ist keineswegs das Ziel der in Deutschland lebenden Türkischstämmigen. In einer Studie des Zentrums für Türkeistudien bezeichneten sich 2009 nur 19,9 Prozent von ihnen als sehr religiös. 2001 hatte der Anteil aber lediglich 6,8 Prozent betragen.

(RP)
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