Wehrhahn-Anschlag Wie viele Zeugen schwiegen aus Angst?

Düsseldorf · Mit der Verhaftung des arbeitslosen ehemaligen Bundeswehrsoldaten Ralf S. sind die Ermittlungen zum Wehrhahn-Anschlag noch lange nicht abgeschlossen. Frühere Skinheads werden als Zeugen gesucht.

Es seien einige Spuren zu verfolgen, denen man in den vergangenen zwei Jahren nicht nachgehen konnte, um S. nicht zu warnen, sagte Staatsanwalt Ralf Herrenbrück. "Wir wollten auch nicht riskieren, dass der Verdächtige erfährt, wie viel wir wissen."

Neue Zeugen, geänderte Aussagen und Indizien, die kurz nach der Tat noch nicht einzuordnen waren, sind die Grundlage des Haftbefehls. Aber auch auf Gentechnik setzen die Ermittler: 2015 wurden mehrere Gegenstände, darunter das Geländer des S-Bahnhofs, an dem der Sprengsatz hing, im Labor des Landeskriminalamts mit neuen Methoden auf DNA untersucht. Zunächst ohne Erfolg, doch am Dienstag wurde bei der Verhaftung von Ralf S. auch dessen genetischer Fingerabdruck genommen und soll mit den Tatortspuren abgeglichen werden.

S-Bahnhof Wehrhahn in Düsseldorf: Bomben-Anschlag im Juli 2000
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2000: Bomben-Anschlag in Düsseldorf am S-Bahnhof Wehrhahn

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Foto: Werner Gabriel

Der Hinweis eines damaligen Strafgefangenen, dem S. sich im Kirchenkreis der JVA Castrop Rauxel angenähert hatte, hatte die Ermittlungen gegen S. vor zwei Jahren wieder in Gang gebracht. S. hatte sich vor dem Mann mit dem Sprengstoffanschlag, bei dem im Juli 2000 zehn Menschen teils schwer verletzt worden waren und ein ungeborenes Kind im Mutterleib getötet wurde, gebrüstet. S. war am Dienstag verhaftet worden. Jetzt suchen die Ermittler weitere Zeugen, darunter zwei Männer, die vor 16 Jahren zur Neonazi-Szene gehörten und in langen Ledermänteln und mit Kampfhunden Zuwanderer provoziert hatten, die gegenüber von S.' Militaria- und Outdoorladen Deutschunterricht nahmen. In der Auseinandersetzung mit diesen Sprachschülern sehen die Ermittler ein mögliches Motiv für den späteren Anschlag auf eine andere Klasse derselben Sprachschule.

In der seit Ende der 1990er Jahre aktiven rechtsextremen Szene in Düsseldorf war S. allerdings ein kleines Licht. In seinem Laden deckten sich die "Düsseldorfer Kameradschaft" und andere Extremisten mit Nazi-Musik und Militärklamotten ein, doch der selbsternannte "Sheriff von Flingern", der bei den meisten seiner Bekannten mit größeren Summen in der Kreide stand und auch mit Selbstverteidigungskursen auf Spielplätzen nicht viel verdiente, galt vor allem als "verrückt".

Die Linkspartei und das Bündnis "Düsseldorf stellt sich quer" bezweifeln dennoch, dass S. ein Einzeltäter war. Mit dieser These werde versucht, die rechtsextremen Strukturen kleinzureden, heißt es in diversen Mitteilungen. Die Staatsanwaltschaft hält eher für möglich, dass S. Mitwisser hatte. S. gilt als hochaggressiv und jähzornig, terrorisierte sogar die Anwälte seiner früheren Partnerin, die sich seit Jahren vor ihm versteckt. Angst könnte deshalb der Grund dafür sein, dass mögliche Zeugen trotz der ungewöhnlich hohen Belohnung von 60.000 Euro bislang schwiegen.

Hinweise an die Polizei: 0211 870-0

(RP)
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