Sigrid Wolf "Wir brauchen einen Wirtschaftsbeirat"

Düsseldorf · Düsseldorfs neue DGB-Chefin setzt auf Dialog und fordert die Stadt auf, in einer Beschäftigungsgesellschaft mitzumachen.

 Sigrid Wolf beim Interview in der RP-Redaktion. Die 51-Jährige ist Düsseldorfs neue DGB-Chefin und auch DGB-Regionsgeschäftsführerin.

Sigrid Wolf beim Interview in der RP-Redaktion. Die 51-Jährige ist Düsseldorfs neue DGB-Chefin und auch DGB-Regionsgeschäftsführerin.

Foto: Andreas Bretz

Frau Wolf, Gewerkschafter stehen politisch links. Sie waren von 2000 bis 2002 jedoch Wirtschaftsförderin. Verträgt sich das?

Wolf Das ist kein Problem und passt zu meinen Überzeugungen. Die Zeit der starren Lagerbildungen ist seit der Wirtschaftskrise doch ohnehin vorbei. Die Gewerkschaften haben mit dem Instrument der Kurzarbeit maßgeblich dazu beigetragen, die Krise zu überstehen. Das hat man auch im Düsseldorfer Sprinter-Werk sehen können. Ich freue mich also, wenn es der Wirtschaft gut geht. Ich arbeite sachorientiert im Interesse der Arbeitnehmer und richte meinen Blick darauf, unter welchen Bedingungen die Menschen leben und arbeiten. Zweitens: Auch wenn ich SPD-Mitglied bin, agiere ich in meinen Funktionen als Düsseldorfer DGB-Vorsitzende und Regionsgeschäftsführerin überparteilich. Darauf lege ich großen Wert. Außerdem sind bei uns auch andere politische Lager vertreten. Bei mir im Büro arbeitet etwa ein Kollege, der Mitglied der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft ist.

Geht das gut?

Wolf Wir frotzeln hier und da, beispielsweise über die Bundeskanzlerin.

Durch die große Koalition sitzen Sie doch in einem Boot. Sind Sie mit dem Bündnis zufrieden?

Wolf Wir haben einige Akzente setzen können, beispielsweise beim Mindestlohn oder der Rente mit 63.

Da befürchten Experten eine Frühverrentungswelle auf Kosten der Allgemeinheit.

Wolf Damit rechne ich nicht, dagegen sprechen schon die demografische Entwicklung und der Facharbeitermangel. Ich kenne Fälle, wo Menschen sogar über die Rentengrenze hinweg arbeiten, natürlich eher Juristen, Ingenieure oder Berater als Menschen in Berufen mit großer körperlicher Belastung. Insgesamt werden die Firmen versuchen, das Potenzial der älteren Arbeitnehmer zu nutzen, Stichwort "Senior Partner".

Und der Mindestlohn?

Wolf Mit den 8,50 Euro pro Stunde kommt man auf 1487 Euro. So viel ist das in einer Stadt wie Düsseldorf nicht. Ich finde es bedenklich, dass es in unserer Stadt fast 12 000 Aufstocker gibt und 2250 davon in einem Vollzeitjob arbeiten. Oder dass fast 75 Prozent der Arbeitslosen im Hartz-IV- System verharren. Da hat Düsseldorf vergleichsweise schlechte Zahlen aufzuweisen. Die Stadt könnte sich stärker einsetzen und sich beispielsweise in einer Beschäftigungsgesellschaft engagieren. Es ist höchste Zeit, die Entwicklung eines sozialen Arbeitsmarktes in Angriff zu nehmen. Es muss ein Konzept entwickelt werden, in dem Langzeitarbeitslose durch Arbeit und Qualifikation an den ersten Arbeitsmarkt herangeführt werden. Dieser soziale Arbeitsmarkt muss so angelegt sein, dass er nicht zu einem Abbau von regulären Arbeitsplätzen führt.

Sie stellen sich ja gerade bei den Ratsfraktionen vor. Da können Sie ideal dafür werben.

Wolf Richtig, aber es gibt auch andere Plattformen. Es ist beispielsweise zu begrüßen, dass Düsseldorf sich nicht nur als Dienstleistungs-, sondern auch als Industriestadt versteht. Mit rund 45 000 Arbeitsplätzen ist Düsseldorf in diesem Punkt NRW-Standort Nummer 2. Der DGB ist im Kreis für den Masterplan Industrie dabei — diese Arbeitsplätze müssen nicht nur erhalten, sondern bestenfalls ausgebaut werden. Ich plädiere dafür, beim gemeinsamen Gestalten weiterzugehen und für Düsseldorf einen Wirtschaftsbeirat zu gründen, der auf breitere Beine gestellt wird und auch Befugnisse bekommt.

Wie stellen Sie sich diesen vor?

Wolf So etwas gibt es bereits in mehreren Städten. Ein Gremium, in dem Politiker, IHK und Handwerkskammer, Finanzträger, Bildungsträger und Wissenschaft zusammenkommen. Per Ratsbeschluss könnte man diesem Gremium auch gewisse Kompetenzen zusprechen. Je enger wir zusammenrücken, desto besser.

Beim Masterplan Industrie waren die Gewerkschaften aber nicht gleich dabei.

Wolf Das ist richtig. Die Industrie- und Handelskammer hat dies dann ermöglicht, was wir sehr begrüßt haben. Ich denke, die breite Vernetzung ist sachdienlich.

Und hilft sicher auch, Einfluss auszudehnen und etwas für die Mitgliederzahlen zu tun.

Wolf Unsere Mitgliederzahlen entwickeln sich positiv, sie sehen besser aus als vor zehn Jahren, als die Arbeitsmarktreformen beschlossen wurden. Fünf der acht im DGB vereinten Gewerkschaften haben steigende Zahlen, die anderen nur minimale Rückgänge. Aber eines ist richtig: Wir Gewerkschaften wollen auch bei anderen Dingen mitreden, etwa beim Stadtentwicklungskonzept und in der Bildungskonferenz. Wir treten für die Durchmischung der Stadtteile ein. Bezahlbarer Wohnraum ist wichtig. Junge Familien ziehen sonst weg, das bekomme ich selbst im Kollegen - und Bekanntenkreis mit. Ein Polizist, eine Krankenschwester und Erzieher müssen auch in Düsseldorf leben können.

Wie zufrieden sind Sie mit der Stadt als Arbeitgeber?

Wolf Die Verwaltung hat einen guten Ruf, aber sie muss schauen, dass die Qualität der Leistung für den Bürger auch erhalten bleibt. 1000 Stellen sind nicht besetzt, der Druck durch Arbeitsverdichtung hat zugenommen. Es gibt auch viele befristete Stellen, das schafft hohe Fluktuation. Übrigens nicht nur dort, auch bei Jobcenter oder Arbeitsagentur ist das der Fall.

Wie planen Sie die Mai-Kundgebung?

Wolf Wir werden vom Hofgarten zum Johannes-Rau-Platz umziehen. Wir hatten im Hofgarten das Problem, dass Bühne und Familienfest voneinander getrennt war, da teilte sich die Aufmerksamkeit. Das ist am Apollo anders, wir hoffen wegen der Lage auch auf mehr Besucher. Dieses Jahr findet dort die landeszentrale Kundgebung statt, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und der DGB- Landeschef Andreas Meyer-Lauber, sprechen. Wir haben ein gutes Rahmenprogramm, es tritt der politische Kabarettist Jens Neutag auf.

Sie wohnen in Grevenbroich und haben lange in Köln gearbeitet. Wie nehmen Sie die Menschen in Düsseldorf wahr?

Wolf Sehr offen. Das erwartet man ja vielleicht eher von den Kölnern, aber ich persönlich erlebe das anders. Man kommt hier sehr gut in Kontakt.

UWE-JENS RUHNAU FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort