Kolumne Heimatreport Wo Heine auf Aldi und Penny trifft

Düsseldorf · Unser Autor war in dieser Woche in Garath unterwegs. Er entdeckte eine trostlose Einkaufspassage, verblüffend gut gelaunte Menschen - und einige irritierende Straßennamen.

 Keine Menschen zu sehen, und ein ziemlich graues Ambiente: Die Fußgängerzone im Stadtteil Garath bietet einen eher tristen Anblick.

Keine Menschen zu sehen, und ein ziemlich graues Ambiente: Die Fußgängerzone im Stadtteil Garath bietet einen eher tristen Anblick.

Foto: Andreas Bretz

Vor einem leerstehenden Geschäft in der Fußgängerzone in Garath, die sich zu beiden Seiten der S-Bahn-Station erstreckt, standen zwei Zeuginnen Jehovas, beide Anfang zwanzig und "Erwachet"-Heftchen in der Hand. Ich fragte sie, ob es noch Hoffnung gebe. Eine der beiden antwortete: "Für wen?" Ich: "Für Garath. Für die Läden. Hier steht so viel leer. Und vieles sieht kaputt aus." Die Frau: "Für die Menschen gibt es Hoffnung. Was die Läden angeht, müssen Sie sich an jemand anders wenden." Um die Ecke standen zwei weitere Zeuginnen, beide in den Vierzigern oder etwas drüber, vielleicht die Mütter der zwei jungen. Ich stellte ihnen dieselbe Frage. Sie entgegneten wie aus einem Mund: "Keine Ahnung!" Eine von ihnen deutete auf die Postfiliale schräg gegenüber und sagte, dort seien am Wochenende die Deckenplatten heruntergefallen. In der Filiale stehe knöchelhoch Wasser.

Über Garath hatte ich nicht viel Gutes gehört. Der Stadtteil gilt als "sozialer Brennpunkt". Aus den unerfreulichen Nachrichten ragt immerhin die gute heraus, dass 2015 die kleine Einkaufspassage an der Josef-Kleesattel-Straße für eine knappe halbe Million Euro aufgehübscht wurde. Ich ging dort auf und ab. Ein Freund, der Maschinenbau studiert hat, erzählte kürzlich, dass er im Studium "die Methode des geschickten Hinsehens" gelehrt bekommen hätte. Schaut man in der kleinen, von Platanen dominierten Einkaufspassage geschickt hin, erkennt man zwar den neuen Bodenbelag und die neuen Bänke. Vor allem aber fällt auf, dass von den circa 15 Läden zehn leerstehen, und das nicht erst seit gestern. Wendet man außerdem die Methode des geschickten Fragenstellens an, kommt heraus, dass quasi niemand die Sanierung bemerkt hat. Ich erkundigte mich, ob dies wirklich der Ort sei, in den die Stadt so viel Geld gesteckt hat, und erntete immer nur Kopfschütteln. Dazu den Tipp, dass ich mal in der großen Einkaufspassage an der S-Bahn-Station nachfragen solle, zu Fuß zehn Minuten entfernt. Wahrscheinlich sei das Geld dort investiert worden.

Garath ist einer der irritierendsten Stadtteile, die ich je gesehen habe. Um zu der Einkaufszone an der S-Bahn-Station zu gelangen, lief ich die Peter-Behrens-Straße entlang. Peter Behrens (1868-1940) war Architekt, Maler, Designer und Typograf. Er war Direktor der Kunstgewerbeschule Düsseldorf und Mitglied der Kunstakademie. An der Hochschule Düsseldorf gibt es heute die "Peter Behrens School of Arts". Die Straße, die diesem Top-Kreativen ein Denkmal setzt, verbindet nun aber ausgerechnet die halb tote Mini-Einkaufszone an der Josef-Kleesattel-Straße mit der großen an der S-Bahn, die aussieht wie eine Fußgängerzone in der litauischen Provinz: grau, ungestaltet und roh. Man fragt sich, was die Architekten, die diese Shoppingzonen entworfen haben, im Hauptberuf machen. Umso verstörender ist es, dass es in diesem Viertel von Mitgliedern der Intelligenzia nur so wimmelt. Heinrich von Brentano, Außenminister in der Nachkriegszeit, ist Namenspatron eines Platzes. Ein Text von Heinrich Heine ziert eine Wand des Freizeitzentrums Garath, gleich neben der S-Bahn-Station. Allenthalben ist Prominenz verewigt, was den Kontrast zur Lebenswirklichkeit in Nord-West-Garath umso krasser hervortreten lässt. Brentano, Heine und Behrens treffen auf Aldi, Penny und Tedi, die unweit der S-Bahn-Station nebeneinanderliegen. Das nenne ich mal einen Kulturkampf.

Bei meiner Shoppingzonentour durch Nord-West-Garath staunte ich nicht nur darüber, dass die Sanierung der Ladenpassage an der Josef-Kleesattel-Straße offenbar niemandem aufgefallen ist, außer vielleicht dem Stadtkämmerer. Mindestens genauso verblüffend waren die gute Laune und die Zuversicht, die viele Menschen verbreiteten. Die Zeugin Jehovas, nachdem sie von der Implosion der Post-Filiale berichtet hatte, betonte, dass sie gerne in Garath lebe. Auch die Verkäuferin in der "Altschlesischen Speisekammer", die unter die S-Bahn-Brücke gleichsam gequetscht ist, war bester Dinge. Sie sagte, der Laden befinde sich seit sieben Jahren an eben diesem Ort, und das Geschäft brumme. Ich solle, gab sie mir mit auf den Weg, das nächste Mal an einem Mittwoch kommen, dann treffe immer die frische Lieferung ein - mit Würsten, Piroggen, Bigos und dem legendären selbst gemachtem Kartoffelsalat ihrer Chefin.

Ich sprach außerdem mit drei älteren Herrschaften, zwei Frauen und einen Mann, die auf einer Bank nahe der Aldi-Filiale plauderten. Der Mann, der einen faszinierenden lilafarbenen Wildleder-Cowboyhut trug, sagte: "Ich find's schön hier!" Darauf ich: "Was genau finden Sie schön?" Er: "Das Einkaufszentrum. Und dass man hier viel machen kann." Ich: "Was denn?" Er: "Du kannst hier Bücher lesen. Vorwärts und rückwärts." Ich: "Kann es sein, dass Sie hier der Komiker des Viertels sind?" Er: "In Garath wird man automatisch so."

Um auf meine Eingangsfrage zurückzukommen: Ja, es gibt Hoffnung für Garath. Wie ich am Nachmittag die Peter-Behrens-Straße zurückwanderte, kam Henrike Pougin angeradelt, um den Nachbarschaftstreff Garath aufzuschließen und Kinder bei den Hausaufgaben zu betreuen. Pougin saß für die CDU in der Bezirksvertretung und trat aus der Partei aus, weil sie, wie sie mir schilderte, die gegenseitigen Anfeindungen der Parteien nicht mehr ertrug. Nun sitzt sie parteilos in der Vertretung - und hilft, wo sie kann. Zum Beispiel organisiert sie einen Mittagstisch für die vielen alten, oft vereinsamten Menschen im Stadtteil. Von den Alten, so erzählte sie amüsiert, werde sie oft "Kind" genannt, obwohl sie 65 Jahre alt sei und seit einem halben Jahrhundert in Garath lebe.

Im selben Moment kam ein betagter Herr des Wegs. Henrike Pougin grüßte ihn mit den Worten: "Guten Tag, junger Mann." Darauf der junge Mann: "Ich bin 87!" Er lachte. Es ist immer schön, alte Menschen zu sehen, die wie Kinder lachen. Und deshalb hätte ich die Bitte an die Politik, das nächste Mal, wenn eine halbe Million übrig ist, sie nicht für einen Belag zu verwenden, den kein Mensch betritt, oder für Bänke, auf denen niemand sitzt, sondern zum Beispiel für einen Ausbau der Nachbarschaftshilfe, wie Frau Pougin sie betreibt. Ich werde geschickt hinsehen, wie sich Garath in dieser Hinsicht entwickelt, und spätestens nächsten Mittwoch wiederkommen. Denn dann gibt es in der Altschlesischen Speisekammer die frischen Piroggen.

(RP)
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