Kolumne Diese Woche In Düsseldorf Wo sich Thomas Geisel strecken muss

Düsseldorf · Der Herausforderer von OB Elbers geht beim Foto auf die Zehenspitzen und sorgt im Wahlkampf für Misstöne.

 Thomas Geisel (l.) und OB Dirk Elbers offiziell von vorne...

Thomas Geisel (l.) und OB Dirk Elbers offiziell von vorne...

Foto: Andreas Bretz/Mirko Rohloff

Mirko Rohloff hat sich in dieser Woche als guter Beobachter erwiesen. Der FDP-Ratsherr war beim Gästeschießen auf der Kirmes, das alljährlich der reinste Promi-Auflauf ist. Plötzlich ergab sich eine Situation, auf die in Düsseldorf lange gewartet wurde: Oberbürgermeister Dirk Elbers ließ sich spontan mit seinem Herausforderer Thomas Geisel fotografieren. Rohloff stand hinter der Szenerie, zückte sein Handy und schoss das Foto der Woche. Ihm war aufgefallen, dass Geisel — er 1,70 und Elbers 1,97 Meter lang — auf die Zehenspitzen stieg, als sich die Fotografen vor den Kontrahenten der Kommunalwahl im nächsten Jahr formierten. Anstrengend sei das gewesen, sagte Geisel unserer Redaktion.

 ...und von hinten in der gleichen Szene.

...und von hinten in der gleichen Szene.

Foto: Mirko Rohloff

Der Blick auf das Foto löst unwillkürlich Schmunzeln aus. Geisel ist im Vergleich zu Elbers, wie sofort zu sehen ist, eine halbe Portion. Von vorn ist gut zu erkennen, wie er die Hände in die Hüften stemmt und so breiter wirkt, seine Körperfläche also zumindest optisch vergrößert. Darum geht es wohl in diesen halb bewusst, halb reflexhaft ausgeführten Posen: einen Nachteil auszugleichen. Die unfreiwillige Komik, die Geisel durch die Entdeckung seines Verhaltens auslöst, hat ihren Niederschlag gefunden. Die "Bild"-Zeitung machte einen "Zehenspitzen-Schummel" öffentlich und erkannte: "Hier macht sich die SPD größer als sie ist." Die "Westdeutsche Zeitung" titelte "Der OB-Kandidat Geisel macht sich lang".

Dicke Sohlen und Leitern

Die "kleinen Männer" sind ein ewiges Thema. Jüngst war Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr im Rathaus und sprach bei der Verleihung des Klüh-Preises. Auch er ging wie Geisel beim Foto neben Elbers auf die Zehenspitzen. Der verstorbene OB Joachim Erwin trug Einlagen, die ihn ein wenig länger machten — und der ehemalige französische Staatspräsident Sarkozy bevorzugt Schuhe mit dickeren Sohlen, Humphrey Bogart kletterte zum Küssen auf Bänkchen, Harry Potter alias Daniel Radcliffe ist nur 1,60 Meter lang. Das Thema füllt Seiten und provoziert zig Deutungsversuche, die bis zum Kampf von Geschlechtergenossen in der Steinzeit und zu Erklärungsmodellen bei der Partnerwahl reichen. Wenn die Psychologen mit Begriffen wie Minderwertigkeitsgefühl und Geltungsdrang eingreifen, ist vom Napoleon-Komplex die Rede. Der Kaiser war, wie zu lesen ist, irgendetwas zwischen 1,51 und 1,68 Meter lang.

Die Wahrheit hinter dem Bild "Geisel auf der Spitze" ist vor diesem Hintergrund abgründig, und deswegen hat der Kandidat auch gereizt auf es reagiert. Das Lachen nämlich, das es provoziert, wird aus Schadenfreude gespeist, die auch allgemein die meisten Witze hervorrufen. In ihnen erleidet der Mensch oft Missgeschicke und Unfälle, und wenn wir lachen, schwingt ein Gutteil Erleichterung mit, dass es dem einen und nicht mir passiert ist.

Thomas Geisel, der von der SPD als weltgewandter Manager präsentiert wird, passt die Kirmes-Petitesse deswegen nicht ins Konzept. Sein Team weiß nur zu gut, dass zum Wahlkampf Argumente gehören, für deren Verständnis nicht viel mehr als das Stammhirn ausreicht. Immer wieder betont Geisel, der Vater von fünf Kindern ist, dass er durch seinen Privatjob als "pater familias" für den angestrebten Chefsessel im Rathaus "gestählt" wurde. Diese Übertragung von biologischer auf politische Potenz ist nicht nur Selbstinszenierung, sondern würdigt gleichzeitig den Amtsinhaber herab, der nun mal keine Kinder hat. Das ist abgefeimt.

Insofern eckt der 50-Jährige, der freundlich und verbindlich auftritt, auch in der Stadtgesellschaft an. Dazu gehört die Multi-Kompetenz, mit welcher er punkten will, die aber eher neunmalklug wirkt und zuweilen ins Leere läuft. So klärte er nicht nur beim In-Treff den Stadtkämmerer über Verschuldung auf, sondern gab zudem Messechef Werner Dornscheidt Nachhilfe in Marktbeobachtung. Mit ihm als OB sei die Messe Hannover die Referenz, ließ er Dornscheidt wissen. Der reagierte verdutzt, schließlich kommt die Messe Düsseldorf anders als die Hannoveraner ohne eine zuschussfinanzierte Eigenkapitalaufstockung von 250 Millionen Euro aus. Da wolle man wohl doch nicht hin, soll der Düsseldorfer gesagt haben — und gegangen sein. Von Besserwisserei, vor allem ohne Grundlage, lässt sich kein Wähler überzeugen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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