Krahestraßen-Explosion Wollte Heinz N. Selbstmord begehen?

Düsseldorf · Der Hausbesitzer von der Krahestraße, der sein Mietshaus 1997 durch eine Gasexplosion zerstört und sechs Bewohner ermordet hat, sitzt seit Freitag in der JVA Hagen. Nach kurzer Flucht war er zuvor in Nordhessen als "hilflose Person" in eine Klinik eingeliefert worden.

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Foto: RP, Andreas Probst

Die Flucht des Sechsfach-Mörders Heinz N. ist zu Ende. Seit Freitag, 18.30 Uhr, ist er in der Justizvollzugsanstalt Hagen, in der er schon am Mittwoch seine lebenslange Haftstrafe hätte antreten sollen. Keine 48 Stunden nach Erlass des Haftbefehls war der rechtskräftig verurteilte Hausbesitzer in der Nacht zuvor in der Uni-Klinik im nordhessischen Marburg festgenommen worden.

Die letzte Nacht von N. in Freiheit kostete 30 Euro inclusive Frühstück. "Er zahlte bar, als er am Donnerstagvormittag auscheckte", sagt Alexander Maus, Inhaber des Hotels Germania in Stadtallendorf, einer kleinen Stadt bei Marburg. Am Mittwochabend hatte ein Bekannter des Hoteliers den Gast vorbeigebracht, der sich Rolf Möller nannte. "Seine Schwester war dabei. Sie sagten, er hätte Tabletten genommen und Alkohol getrunken. Er sah nämlich ziemlich fertig aus." Als Nieder am Donnerstag sein Haus im Ortsteil Niederklein verließ, hat Maus nicht mehr an ihn gedacht. Bis er abends wieder an der Rezeption stand. "Er war ohne Schuhe unterwegs, wollte in sein Zimmer, konnte kaum sprechen. Da haben wir die Polizei geholt."

Die guckte sich den angeblichen Möller an, und entschied, ihn in die Uniklinik nach Marburg bringen zu lassen. Erst eine Stunde später, als in einer Dienstbesprechung auch die bundesweite Fahndung nach dem Sechsfach-Mörder zur Sprache kam, fiel den Beamten ihr "Möller" wieder ein, der kurz darauf festgenommen wurde.

Er hatte Medikamente genommen, "die er nicht vertragen hat", so Staatsanwalt Johannes Mocken Freitag. Als die Polizisten ihn in der Klinik wiedersahen, habe er "zusehends eingetrübt" gewirkt, sei kaum noch ansprechbar gewesen. Ob Nieder sich das Leben nehmen wollte, sei ungeklärt. Sein Zustand muss sich schnell gebessert haben: Schon Freitagnachmittag hielten die Marburger Ärzte N. für stark genug, die Fahrt ins 180 Kilometer entfernte Hagen mit der Neusser Polizei anzutreten.

Mit der Festnahme des Hausbesitzers könnte das aus mehreren Gründen spektakuläre Krahestraßen-Verfahren nach fast zwölf Jahren endlich abgeschlossen sein. Drei Prozesse brauchte die Justiz, um Nieder, der im Juli 1997 sein Mehrfamilienhaus in die Luft gejagt hatte als seine Mieter schliefen, wegen sechsfachen Mordes und zweifachen Mordversuchs rechtskräftig zu verurteilen.

Zweimal hob der Bundesgerichtshof (BGH) die Urteile wegen handwerklicher Fehler von Düsseldorfer Richtern wieder auf. Weil diese überlange Verfahrensdauer mit dem Grundgesetz nicht vereinbar war, hatte das Bundesverfassungsgericht den Angeklagten Ende 2005 aus der U-Haft entlassen. Zu seinen Prozessterminen war er danach stets pünktlich erschienen. Nur der Ladung zum Haftantritt wollte N. vorige Woche nicht folgen, beantragte zunächst einen Strafaufschub wegen Krankheit. Als die Staatsanwaltschaft ablehnte, hatte Nieder nichts mehr von sich hören lassen.

Nachdem sich seine Anschrift als in Rommerkirchen als Scheinadresse entpuppt hat, geht die Staatsanwaltschaft inzwischen davon aus, dass Nieder sich in letzter Zeit dauernd in Nordhessen aufgehalten hat. Das hatte auch die Überwachung von Nieders Mobiltelefon ergeben. Es war zuletzt in Stadtallendorf geortet worden — bevor N. es am Mittwoch abschaltete. Angeblich, so Staatsanwalt Mocken am Freitag, soll der verarmte Hausbesitzer in einer Fliesenleger-Kolonne gearbeitet haben, die im Hotel Germania untergebracht war. Möglicherweise ein Missverständnis: Bei Alexander Maus haben nämlich keine Handwerker gewohnt. Aber sein Bekannter, der Nieder ins Hotel brachte, ist Fliesenleger. "Ich dachte, er ist ein Kollege. Das hat er auch der Polizei gesagt." Einen Ausweis hatte N. übrigens nicht dabei.

Seiner Mutter, die in Thüringen lebt, soll er kürzlich gesagt haben, "er werde die Haft nicht antreten, eher tue er sich etwas an", so Staatsanwalt Mocken. Deshalb hatten Ermittler auch wegen möglicher Suizidgefahr nach N. gefahndet.

Ob Heinz N. tatsächlich Selbstmord begehen oder ob er die Justiz durch eine Inszenierung doch nur austricksen wollte — das ist für die Düsseldorfer Diplom-Psychologin Susanne Altweger schwer zu entscheiden: "Beides ist vorstellbar." Es könne sein, dass Nieder durch das jahrelange Strafverfahren tatsächlich "zermürbt" und damit in seinen psychologischen Grundfesten erschüttert ist. Andererseits "hatte er ja Zeit, zu studieren, wie man die Justiz aushebeln kann — welcher Mensch würde das nicht anwenden?" Welche Variante zutrifft, sei ohne eingehende Untersuchung "seriös nicht zu entscheiden", so Altweger.

(RP)
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