Duisburger Geschichte und Geschichten Als es Tabak nur in der Apotheke gab

Duisburg · Tollkirsche, Stechapfel und andere botanische Ingredienzien spielten zur Herstellung von Heilmitteln eine wesentliche Rolle. Bilsenkraut ist hoch dosiert tödlich, kann richtig dosiert jedoch schmerzlindernd sein, etwa bei Amputationen.

 Die Tabakpflanze war ursprünglich auf dem amerikanischen Kontinent beheimatet, wo der Tabakkonsum bei der indianischen Urbevölkerung eine lange spirituell-kultische Tradition besaß.

Die Tabakpflanze war ursprünglich auf dem amerikanischen Kontinent beheimatet, wo der Tabakkonsum bei der indianischen Urbevölkerung eine lange spirituell-kultische Tradition besaß.

Foto: Kultur- und Stadthistorisches Museum

Heute gelten Alkohol und Tabak als Gesundheitskiller Nummer eins. Vor 400 Jahren glaubte man jedoch, mit Kräutermixturen, Bier, Wein und Tabak Krankheiten heilen zu können. Bei der Krankenbehandlung griff man auf das Wissen der heilkundigen Frauen zurück. Die Spur führt uns in die sogenannten "Hexenküchen". Bilsenkraut, Tollkirsche, Stechapfel und andere botanische Ingredienzien spielten zur Herstellung von Heilmitteln eine wesentliche Rolle.

Die wirksamste Droge aber war das Bilsenkraut, das mit seinem Gift Hyoscyamin in größeren Mengen genommen den Tod bringt, aber richtig dosiert betäubend wirkt und starke Schmerzen bei Amputationen und Zahnziehen lindert. Je nach Dosierung konnte das Pflanzengift allerdings "zu wilden Ausbrüchen nicht hemmbarer Tanzwut und zu gar sinnlichen Begierden" verleiten. Die "Flugsalbe" vermittelte das Gefühl, durch die Lüfte zu fliegen oder zu schweben. Hexentänze und Walpurgisnacht erhalten mit der "Flugsalbe" ihre ekstatische Dimension. Heute sind die geheimen Orte nur ausgewählten Frauen in Duisburg bekannt.

Damit kein Missverständnis entsteht: Unsere Stadt war keine Hochburg der Hexen. In Duisburg widmeten sich Frauen ("Grutersche") verstärkt dem Bierbrauen. Grut war ein Kräutersurrogat zur Konservierung. Das Bierbrauen auch Frauensache war, geht aus den Stadtrechnungen hervor, die der ehemalige Stadtarchivar Joseph Milz ausgewertet hat. Neben süffigem Geschmack und (relativ wenig) Alkohol enthielten Wein und Bier mehr Nährstoffe als reines Wasser.

Der berühmte Arzt Paracelsus wird oft mit der Aussage zitiert: "Bier ist eine wahrhaft göttliche Medizin". Bier galt sowohl als Bestandteil der Diätetik, also der gesunden Lebensweise, als auch zur Stärkung der Kranken und Schwachen. Im Duisburger Hospital wurde Bier folgerichtig den Kranken verabreicht. Es wird berichtet, dass dem alkoholarmen Bier gelegentlich gar Bilsenkraut beigemischt wurde. Dass der Name Pilsener von Bilsenkraut kommt, ist allerdings selbst bei Experten umstritten. Erst mit dem Reinheitsgebot von 1517 wurde dies untersagt. Die Duisburger Bevölkerung bevorzugte damals mehrheitlich das Volksgetränk Bier.

Das Aufblühen der Bierproduktion hatte viele Gründe. Der damalige Klimawandel, so Stadtarchäologe Kai Thomas Platz, führte zu einem Temperaturrückgang, der den Weinanbau und den Weinhandel in Duisburg erschwerte. Das Brauereiwesen blühte auf. Zu besonderen Anlässen wurde natürlich weiter Wein kredenzt, aber selbst der gesundheitlich angeschlagene Herrscher Herzog Wilhelm der Reiche (1516-1592) galt als passionierter Biertrinker; nicht zuletzt um seine "dunklen Tage" erträglicher zu gestalten, so der Historiker Guido von Büren. Ende des 16. Jahrhundert kam eine neue Droge auf den Markt und erreichte Europa: Tabak. Im Gegensatz zu Wein, Bier und anderen Drogen war Tabak bis zur frühen Neuzeit hier völlig unbekannt. Jean Nicot, ein französischer Diplomat, empfahl die Tabakpflanze als Wunderdroge.

Das Heilkraut des nikotinhaltigen Nachtschattengewächses aus der Neuen Welt gab es im 16. Jahrhundert nur in Apotheken. Niederländer brachten die "Droge" vermutlich nach Duisburg. Viele Mediziner priesen damals Tabak als Heilmittel: Der Tabakrauch, welcher durch das Rauchen in den Körper eingeatmet wird, sollte die schädlichen Stoffe, welche durch verdorbene Luft, Wasser und Nahrungsmittel aufgenommen wurden, ausstoßen helfen. Kein Grund zum Schmunzeln - Nikotin zeigt durchaus medizinische Effekte.

Heute zeigen Studien von US-Forschern, dass Nikotin Patienten mit schweren neurologischen Leiden wie der Alzheimer Krankheit und Parkinson angeblich helfen kann. (Selbstverständlich muss man auf das unbestreitbar höhere Krebsrisiko bei Rauchern im Vergleich zu Nichtrauchern hinweisen.) Das einstige Heilmittel wurde im 17. Jahrhundert zum Genussmittel. Davon sollte Duisburg wirtschaftlich profitieren. Ende des 18. Jahrhunderts begann bei Böninger die Tabakfabrikation, die zum Ruhm des Hauses beitrug, so dass 1811 bei Arnold Böninger sogar Napoleon höchstpersönlich zum Frühstück einkehrte.

Mit Napoleons rauschhaften Machtstreben verhielt es sich im Übrigen ganz ähnlich wie mit allen Drogen: Die Wirkung ist bei falscher Dosierung fatal.

(RP)
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