Duisburg Alte Schriften vor dem Zerfall gerettet

Duisburg · Das Stadtarchiv hat 550 Schriften aus seiner Bibliothek konservatorisch behandeln lassen. Die Entsäuerung fand im Zentrum für Bucherhaltung in Leipzig statt. Den Großteil bezahlt das Land.

Duisburg: Alte Schriften vor dem Zerfall gerettet
Foto: Christoph Reichwein (crei)

Der Leiter des "Archivberatungszentrums" beim Landesverband Rheinland, Dr. Peter Weber, ist gegen die Abholzung von Wäldern. Dennoch meint er: "Recycling-Papier ist Gift für alle Archive." Gesagt hat er diesen markigen Satz gestern im Duisburger Stadtarchiv. Dort wurde über die jüngste konservatorische Maßnahme berichtet: In den vergangenen Monaten wurden 550 Schriften mit Hilfe eines Entsäuerungsverfahrens so behandelt, dass sie nicht weiter nach und nach zerbröseln. Unter diesen so behandelten Schriften sind auch zahlreiche Verwaltungsberichte und nicht zuletzt Standesamtsregister. Das hat seinen Grund: Standesamtsregister werden von zahlreichen Familienforschern angefordert. "An manchen Tagen holen wir bis zu 50 dieser Register für unsere Archivnutzer aus den oberen Etagen", berichtet Dr. Andreas Pilger, Leiter des Duisburger Stadtarchivs.

 Archivleiter Dr. Pilger, Dezernent Krützberg sowie die Restauratoren Volker Hingst, Uwe Franzen und Dr. Weber (v.l.) bei der Präsentation.

Archivleiter Dr. Pilger, Dezernent Krützberg sowie die Restauratoren Volker Hingst, Uwe Franzen und Dr. Weber (v.l.) bei der Präsentation.

Foto: reichwein

Das Duisburger Stadtarchiv nimmt an der "Landesinitiative Substanzerhaltung" teil. Das LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum (AFZ) übernimmt dabei die Koordination für die Archive im Rheinland. Das Projekt wird fachlich von Restauratoren des AFZ begleitet und im Technischen Zentrum für Bestandserhaltung in Pulheim-Brauweiler, in den Unterzentren und den entsprechenden Dienstleistungsbetrieben durchgeführt.

Kulturdezernent Thomas Krützberg wies gestern auf den für die Stadt erfreulichen Umstand hin, dass das Land einen Großteil der Kosten für die Schriftenrettung übernimmt. Für die Entsäuerung der 550 Schriften habe die Stadt selber nur knapp 2000 Euro bezahlen müssen. Allerdings wurden diese Schriften nicht einer erheblich teureren Einzelblatt-Entsäuerung, sondern einer Blockentsäuerung unterzogen. Bei diesem Verfahren werden rund 100 Kilogramm Schriften in einer Abstellraum-großen Spezialkammer gelegt. In dieser Kammer wird zunächst ein Vakuum geschaffen. Anschließend wird die Kammer mit einer milchigen Speziallösung geflutet. Diese Lösung durchtränkt die Schriften, entzieht ihnen die Säure, die sich im Laufe der Jahre durch Holzschliff und Harze, die für die Bindung benutzt wurden, gebildet hat und die den Zerfall der Schriften bewirken. Im Anschluss an diese "Tränkung" dampfen die Schriften aus. Sie sind dann für die Nachwelt gerettet. Volker Hingst, Diplom-Restaurator beim LVR, der das technische Verfahren gestern akribischer als hier wiedergegeben erläuterte, sagte, dass die entsäuerten Schriften jetzt für 350 bis 400 Jahre vor dem natürlichen Zerfall geschützt seien. Durchgeführt wurde die Blockentsäuerung im Zentrum für Bucherhaltung in Leipzig.

Die Blockentsäuerung, so Hingst, sei in den vergangenen Jahren optimiert worden. Unerwünschte Nebenfolgen, wie beispielsweise das Ausbleichen von Farben (besonders Blau und Grün seien empfindlich), konnten reduziert werden. Vor allen Dingen ist die Blockentsäuerung viel preiswerter als die Einzelblattentsäuerung, die allerdings oftmals die einzige Möglichkeit ist, den Verfall von Schriften aufzuhalten. Mit der Einzelblatt-Entsäuerung hat man auch im Duisburger Stadtarchiv schon Erfahrungen gemacht: Im Rahmen eines Förderprogramms wurden von 2006 bis 2010 etwa 3400 Akten konservatorisch behandelt, das waren rund 600.000 Blätter, die einzeln, aber maschinell entsäuert wurden. Die Kosten hätten damals 106.000 Euro betragen, von denen die Stadt Duisburg 16.000 Euro selber tragen musste.

Das Duisburger Stadtarchiv beherbergt insgesamt neun Regalkilometer mit Schriften. Davon sei, so der Restaurator des Duisburger Archivs, Uwe Franzen, etwa die Hälfte konservierungsbedürftig. Wenn man alle Schriften entsäuern würde, müsste man dafür schätzungsweise 20 Millionen Euro bezahlen, so Dr. Weber. Eine solche Situation sei aber typisch für alle Stadtarchive in Deutschland, nicht nur für das Duisburger. "Wir hoffen, so Dr. Weber, "dass wir in 100 Jahren mit der konservatorischen Behandlung aller Archivbestände im Lande fertig sind".

Da also nur ein Bruchteil der Bestände entsäuert werden kann, muss eine Auswahl getroffen werden. So werden, wie Dr. Pilger sagte, zunächst alle Schriften vorrangig zum Entsäuern ausgewählt, die einen ganz engen Duisburg-Bezug haben und einmalig sind. Ein wichtiges Kriterium ist auch die Nachfrage bei den Nutzern. Parallel zu den konservatorischen Maßnahmen läuft die Digitalisierung der Archivbestände, die ebenfalls eine Mammutaufgabe ist. Ziel ist, dass die Archivnutzer ihre Recherchen so viel wie möglich an Lesegeräten durchführen können. Die Originale bleiben so unberührt.

Übrigens: Bei der Stadtverwaltung wird neuerdings alterungsbeständiges Papier genutzt und nicht jenes Recyclingpapier, das nach einigen Jahren zerbröselt.

(pk)
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