Duisburg Backpulver aus der Kokerei

Duisburg · ThyssenKrupp und TU Berlin entwickeln neues Verfahren zur umweltschonenden Verwertung von Prozessgasen. Die weltweit erste Versuchsanlage steht in Duisburg.

 Mit Weiß ins Schwarze getroffen: Koksabfall wird in der Pilotanlage umweltfreundlich zu Hirschhornsalz umgewandelt.

Mit Weiß ins Schwarze getroffen: Koksabfall wird in der Pilotanlage umweltfreundlich zu Hirschhornsalz umgewandelt.

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Aus Kohle Kekse zu machen - das ist theoretisch möglich, und zwar mit einer neuartigen Technologie, die im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts von der Kokerei Schwelgern, dem Anlagenbauer ThyssenKrupp Industrial Solutions und der Technischen Universität Berlin entwickelt wurde. Auf dem Werksgelände von ThyssenKrupp Steel Europe in Hamborn ist jetzt eine Pilotanlage in Betrieb genommen worden, die eine Substanz produziert, die tatsächlich als Backpulver einsetzbar ist, berichtet Thyssen.

Im Vordergrund stehe aber nicht, jetzt mit der Herstellung dieses sogenannten Hirschhornsalzes in die Lebensmittelindustrie einzusteigen. Vielmehr nutze das Versuchsaggregat bestimmte Prozessgase, die bei der Herstellung von Koks ohnehin entstehen, und wandele diese umweltschonend um. Daraus entstehen laut Thyssen zum einen vermarktbare Stoffe wie Düngemittel und Treibmittel für die Chemieindustrie. Zum anderen: der CO2-Ausstoß wird vermindert. Die Anlage ist die weltweit erste ihrer Art.

"Kokereien gibt es auf der ganzen Welt. Wir wollen mit dem neu entwickelten Verfahren den Betreibern die Chance bieten, ihre Prozessgase sinnvoll weiterzuverwenden und die Produktivität ihrer Anlagen zu steigern", erläutert Dr. Holger Thielert von ThyssenKrupp Industrial Solutions: "Hierfür haben wir ein Verfahren entwickelt und patentiert, das Koksofengase ressourcenschonend in verwertbare Stoffe umwandelt. Dieses Verfahren können wir weltweit vermarkten oder auch in bestehenden Anlagen installieren."

Am Anfang des neuen Verfahrens steht die Produktion von Koks, neben Eisenerz der Haupteinsatzstoff zur Herstellung von Roheisen im Hochofen. "Dabei wird in der Kokerei Kohle unter hohen Temperaturen 'gebacken'. Die in diesem Prozess entstehenden heißen Gase führen eine Reihe von Stoffen mit sich. In der Versuchsanlage wird nun in einem komplexen Verfahren das Koksofengas gewaschen. Unter Beigabe von Kohlenstoffdioxid entsteht Ammoniumbikarbonat - umgangssprachlich Hirschhornsalz", erklärt Dr. Thielert. Die entstehenden Endprodukte seien vielfältig einsetzbar: als Stickstoffdünger, als Treib- und Schäumungsmittel für Kunststoffe oder poröse Keramiken und letztlich auch in der Nahrungsmittelindustrie.

 Kokerei-Chef Peter Liszio (rechts) und Holger Thielert von ThyssenKrupp Industrial Solutions.

Kokerei-Chef Peter Liszio (rechts) und Holger Thielert von ThyssenKrupp Industrial Solutions.

Foto: ThyssenKrupp Steel Europe

Nach erfolgreichen Testläufen unter Laborbedingungen wurden zwei Forscher der Technischen Universität Berlin mit dem Bau der Pilotanlage in Duisburg beauftragt. "Die entscheidenden Versuche können nur unter realen Bedingungen stattfinden", erläutert Sebastian Riethof, Wissenschaftler von der TU Berlin. Für die Testphase bietet die Kokerei Schwelgern als Teil des integrierten Hüttenwerks von ThyssenKrupp Steel Europe in Hamborn optimale Bedingungen. "Läuft hier auf der Kokerei alles wie geplant, kann das neue Verfahren auch im Großmaßstab angewendet werden." Die ersten Ergebnisse waren vielversprechend: "95 Prozent des im Koksofengas enthaltenen Ammoniaks können genutzt werden. Aus 15 Kubikmetern Koksofengas und zwei Kubikmetern Kohlenstoffdioxid entstehen so pro Stunde 15 Kilogramm Feststoffe", erläutert Riethof die Effizienz der Anlage. Die Chemieprodukte könnten so zu marktfähigen Kosten hergestellt werden.

Laufen die Tests weiter erfolgreich, wäre dies nach Ansicht von ThyssenKrupp ein echter Durchbruch in Sachen Produktivität und Ressourceneffizienz - auch für die Kokerei Schwelgern: "Schon jetzt werden hier in Duisburg nahezu alle anfallenden Prozessgase möglichst effizient verwertet", erklärt Geschäftsführer Peter Liszio.

"Gelingt es uns jetzt noch langfristig, sowohl aus den Koksofengasen am Markt absetzbare Produkte für andere Industriezweige herzustellen und zugleich den CO2-Ausstoß des Hüttenwerks zu senken, wäre das ein echter Mehrwert, der auch der Umwelt zugutekommt." Deshalb könnten Idee und Anlagentyp bei positivem Fortschritt künftig auch weltweit zum Einsatz kommen, hoffen die Verantwortlichen bei ThyssenKrupp.

(RP)
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