Duisburg Bei Sauerland und Schaller fehlen die Verdachtsmomente

Duisburg · Mindestens ebenso aufschlussreich wie die Liste der Verfehlungen, die die Staatsanwaltschaft 16 Beschuldigten vorwirft, sind die Begründungen der Behörde für fehlende Verdachtsmomente gegen Verantwortliche und Beteiligte des Loveparade-Komplexes.

Loveparade-Unglück: So entschuldigt sich OB Adolf Sauerland
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Loveparade-Unglück: So entschuldigt sich OB Adolf Sauerland

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Besonders zwei Personen, die nach der Katastrophe stark unter öffentlichen Beschuss geraten waren, tauchen in der Namensliste der Staatsanwaltschaft nicht als Beschuldigte, sondern nur als Zeugen auf: Rainer Schaller, Geschäftsführer des Loveparade-Veranstalters Lopavent, ist einer der wichtigsten Zeugen, der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU), gegen den ein Bürgerentscheid mit dem Ziel seiner Abwahl läuft, auch.

Es mutet auf den ersten Blick anrüchig an, wenn die Staatsanwaltschaft zwar Lopavent-Angestellte und – neben Beigeordneten und Amtsleitern – Sachbearbeiter in Duisburger Amtsstuben ins Visier nimmt, die beiden Hauptbetreiber des Loveparade-Projekts, Schaller und Sauerland, jedoch strafrechtlich aus der Verantwortung nimmt. Wenn man die Ausführungen der Staatsanwälte allerdings genau liest, wird deutlich, dass in dieser Sache das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Schaller, so die Akte, sei als "alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der Lopavent GmbH und mithin als Veranstalter originärer Adressat der Verpflichtung zur Absage, beziehungsweise zum Abbruch der Veranstaltung". Schaller habe Mitarbeiter der Lopavent, gegen die als Beschuldigte ermittelt wird, mit der Durchführung der Loveparade beauftragt. Ihm sei nicht nachzuweisen, dass er auf sie Druck ausgeübt habe, um Kosten zu sparen. Eine seiner Mitarbeiterinnen entlastete ihren Chef. Der habe zwar darauf geachtet, bei den Ausgaben fürs Kreativpersonal zu sparen, für die Sicherheit sei dagegen sogar mehr ausgegeben worden als bei vorigen Veranstaltungen.

Mit dieser Feststellung ist Schaller aber offenbar noch nicht aus dem Schneider. Wörtlich heißt es im Ermittlungsbericht: "Ob eine etwaige trotz Übertragung der eigenen Pflichtenstellung an die beauftragten Mitarbeiter fortbestehende Überwachungspflicht (...) mit der Folge einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit verletzt worden ist, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden und bedarf weiterer Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht. Es ist nicht bekannt, ob und gegebenenfalls in welcher Form der Geschäftsführer seine Mitarbeiter überwachte. Dieser Umstand bedarf bei den weiteren durchzuführenden Ermittlungen jedoch der besonderen Betrachtung und weiteren Aufklärung des Sachverhalts."

Das heißt: Die Staatsanwaltschaft hat die Rolle, die Geschäftsführer Rainer Schaller bei der Organisation der Loveparade spielt, noch nicht ausreichend beleuchtet. Sie schließt nicht aus, dass es bei Klärung der offenen Fragen doch noch zu einem Ermittlungsverfahren kommen könnte.

Ähnlich stellt der Bericht die mögliche Verantwortlichkeit von Adolf Sauerland dar. Die öffentliche Entschuldigung, die der Duisburger OB am Montag im Ratssaal vor laufenden Kameras fast ein Jahr nach der Katastrophe abgab, ist für die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft von keinerlei Relevanz.

Allerdings scheinen es die Ermittler in seinem Fall für noch unwahrscheinlicher zu halten, dass der Oberbürgermeister sich in irgendeiner Form strafbar gemacht haben könnte. Wörtlich heißt es: "Anhaltspunkte, die einen strafrechtlichen Anfangsverdacht gegen den Oberbürgermeister der Stadt Duisburg begründen könnten, liegen derzeit nicht vor. Die bisherigen Feststellungen zu seiner Einbindung in das ,Projekt Loveparade 2010 in Duisburg' sind nicht dazu geeignet, ihm den strafrechtlichen Vorwurf einer zurechenbaren Verursachung der Katastrophe zu machen." Zwar sei von "politischem Druck" die Rede gewesen, konkrete Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten von Sauerland lägen jedoch nicht vor. In Bezug auf einen Genehmigungsantrag der Lopavent heißt es wörtlich: "Die tatsächliche Bearbeitung solcher Anträge erfolgt regelmäßig im dortigen Fachamt, da nur dort die entsprechenden Detailkenntnisse vorhanden sein können."

Aber die Ermittler halten sich auch bei Sauerland alle Optionen offen: "Die Feststellung, inwieweit er Kenntnis von den Problembereichen, Sicherheitsbedenken und Mängeln des gesamten Verfahrens hatte, ist derzeit nicht möglich. Möglicherweise ergeben sich weiterführende Erkenntnisse betreffend die Person des Oberbürgermeisters, insbesondere zu seiner tatsächlichen Einbindung in das Verfahren und seinen Erkenntnissen zu den virulenten Sicherheitsproblemen aufgrund der weiteren Ermittlungen, namentlich den anstehenden Vernehmungen."

Zu einem der Hauptbelastungszeugen der Anklagebehörde zählt offenbar der Verkehrslenkungsexperte Michael Schreckenberg, der die Stadt Duisburg bei der Planung der Loveparade gegen ein Pauschalentgelt von 20 000 Euro beraten hatte und unmittelbar nach der Katastrophe durch widersprüchliche Äußerungen ins Zwielicht geraten war. Ihm bescheinigt die Staatsanwaltschaft: "Es kann nicht festgestellt werden, dass er für das gesamte und mangelhafte Sicherheitskonzept verantwortlich war, bzw. seine Ausführungen zu den von ihm geprüften Konzepten bzw. Planungen in vorwerfbarer Form fehlerhaft oder sorgfaltswidrig erfolgten." Er habe die Veranstalter sogar vor Gefahrensituationen an den Ein- und Ausgangsbereichen, insbesondere auf den Tunnel an der Karl-Lehr-Straße, gewarnt. Schreckenberg äußerte die Vermutung, nur deshalb engagiert worden zu sein, um kritische Äußerungen von seiner Seite zu unterbinden.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft bestehen derzeit strafrechtlich relevante Verdachtsmomente lediglich gegen den Leitenden Polizeidirektor Kuno Simon. Andere Polizisten sollen sich nicht rechtswidrig verhalten haben. Auch gegen Besucher der Loveparade wird nicht ermittelt. Viele von ihnen leiden bis heute unter Schuldkomplexen, weil sie im Gedränge andere Besucher niedergetrampelt hatten. Diese Verhaltensweise sei Folge einer Panik, ausgelöst durch Planungsfehler und Nichthandeln von Veranstalter, Stadtverwaltung und Polizeiführung. Strafbar, so die Staatsanwälte, habe sich so keiner der Besucher gemacht.

(RP)
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