Bulgaren in Duisburg "Bei uns gibt es kaum Perspektiven"

Duisburg · Merdin Bayram ist Bürgermeister der bulgarischen Kleinstadt Varbitsa. Seit der Erweiterung der EU-Außengrenzen sind 900 Bürger seiner Stadt nach Duisburg ausgewandert. Er erklärt, was seine Landsleute zu diesem Schritt bewogen hat.

 Merdin Bayram (2. v. l.) bei seinem Besuch in einem Café in Duisburg. Das Bild rechts zeigt eine Momentaufnahme in Hochfeld.

Merdin Bayram (2. v. l.) bei seinem Besuch in einem Café in Duisburg. Das Bild rechts zeigt eine Momentaufnahme in Hochfeld.

Foto: Awo/Stadt/Crei

Merdin Bayram war am Donnerstag auf einem ungewöhnlichen Ortsbesuch. Der Bürgermeister der bulgarischen Kleinstadt Varbitsa hatte sich mit dem Auto nach Duisburg aufgemacht, um in einem Hochfelder Café mit vielen ehemaligen Bewohnern seiner Kommune über ihr neues Leben in Deutschland zu sprechen. Seit der Erweiterung der EU-Außengrenzen sind ganze 900 Bürger aus Varbitsa nach Duisburg emigriert. Sie machen den größten Teil der rund 3800 Bulgaren aus, die mittlerweile in dem Stadtteil leben.

Die Gründe für den Massenexodus aus der bulgarischen Kleinstadt sind vielfältig. "Die meisten haben sich aber nach Duisburg aufgemacht, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen", sagte Bayram gestern am Rande des bundesweiten Fachtages der Awo-Integration im Tectrum. "Die Region um Varbitsa ist strukturell sehr schwach. Es gibt keine Industrie, die Arbeitslosigkeit liegt bei 43 Prozent. Die Menschen leben vor allem von der Landwirtschaft. Und gerade für junge Menschen gibt es kaum Perspektiven." Bei den Leuten in Hochfeld handele es sich überwiegend um junge Familien. "Auch einige meiner ehemaligen Mitschüler sind darunter."

 Das Foto zeigt einen Marktplatz in der Gemeinde Varbitsa.

Das Foto zeigt einen Marktplatz in der Gemeinde Varbitsa.

Foto: Stadt Varbitsa

Das Gespräch am Tag zuvor habe gezeigt, dass die größten Probleme seiner Landsleute in der neuen Heimat gar nicht kultureller Natur seien. "Viele haben mich gestern darauf angesprochen, dass sie Schulplätze für ihre Kinder suchen. Sie wollen sich integrieren und an der Gesellschaft teilhaben." Auch mit der Kommunikation gebe es kaum Schwierigkeiten. Schließlich würden die meisten seiner Landsleute Türkisch sprechen. Es sei zwar wahr, dass viele Bulgaren hier Sozialleistungen beziehen würden, jedoch nur so lange, bis sie eine Arbeiten fänden. "Die Integrationskurse kosten Geld", sagte Bayram. "Geld, dass die Leute nicht haben, wenn sie hier ankommen. Mit dem Zuschuss vom Amt finanzieren sie sich die ersten Schritte ihrer Integration." Die Nachrichten von Problemen wie Dreck und Kriminalität hätten ihn auch erreicht. "Ich kann aber versichern, dass sie nicht durch Personen aus Varbitsa verursacht werden."

Karl-August Schwarthans, Geschäftsführer der Awo-Integration, bestätigte die Darstellung des Bürgermeisters. "Da muss man ganz genau differenzieren", sagte er. "Die Leute aus Varbitsa sind wirklich um Integration bemüht. Die Herausforderungen, vor denen die Stadt steht, werden hauptsächlich von Personengruppen aus dem rumänischen Bereich verursacht."

Die Stadt hat die Armutszuwanderung und die kriminellen Machenschaften von südosteuropäischen Schleuserbanden schon seit geraumer Zeit als Herausforderung erkannt. Aus diesem Grund führt die Kommune schon seit einigen Jahren detailliert Buch über den Zuzug von Personen aus Südosteuropa. Demnach sind seit 2011 13.678 Neubürger aus Bulgarien und Rumänien nach Duisburg gezogen. Insgesamt leben derzeit (Stand 1. August 2017) 17.550 Staatsangehörige der südosteuropäischen Länder in der Stadt - etwa 8150 Rumänen und 9400 Bulgaren. "Wohnraum in Duisburg ist vergleichsweise günstig", erklärte Stadtsprecherin Susanne Stölting das Phänomen. "Das ist sicherlich ein Grund, warum sich so viele Zuwanderer aus den beiden Staaten in Duisburg niederlassen." Ein weiterer Grund seien aber sicherlich auch die kriminellen Geschäftsmodelle professioneller Schleuserbanden, die Menschen gezielt mit verheißungsvollen Versprechen von einem auskömmlichen Leben nach Deutschland lockten. "Windige Geschäftsleute kaufen, oft in Zwangsversteigerungen, gezielt marode Gebäude auf", erläuterte Stölting. "Als Sicherheit hinterlegen sie einen Bruchteil des ohnehin geringen Preises." Dann würden sie die Schrottimmobilien an Armutszuwanderer vermieten, die ihnen von den Schleuserbanden zugeführt werden. Damit verdienten die Vermieter in kurzer Zeit ein vielfaches der hinterlegten Summe. "Wird dann irgendwann der komplette Kaufpreis fällig, geben sich die Eigentümer als zahlungsunfähig aus", sagte Stölting. "Und bei der daraufhin erneut anberaumten Zwangsversteigerung geht das Haus dann an Brüder oder Söhne der Besitzer - und das Geschäft mit den Migranten bleibt in der Familie."

Zudem versorgten manche Hausbesitzer die Mieter mit vermeintlichen Arbeitsverträgen für einen Minijob. Als Bürger der Europäischen Union könnten die Zugezogenen beim Jobcenter den Zuzahlbetrag beantragen, der ihnen bis zum staatlich festgesetzten Mindestbedarf noch fehle. "Und am Ende kassieren die Kriminellen dann einen Großteil der Sozialleistungen bei ihren Mietern ab."

Bayram versichert, dass die Leute aus Varbitsa mit den Schleuserbanden nichts zu tun hätten. "Die Leute aus meiner Stadt, haben sich bewusst dazu entschieden, nach Duisburg zu kommen", sagte er. Schleuserbanden bräuchten sie nicht. "Sie kommen - wie ich - mit dem Auto."

(th)
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