RP-Serie Duisburger Geschichte Und Geschichten Die Angst vor der Jahrhundertflut

Duisburg · Hochwasserkatastrophen trafen Duisburg immer wieder. Als Achillesferse gilt das Marientor: In der Nacht vom 3. auf den 4. November 1924 versagte die Marientorschleuse. Das Wasser stand in den Häusern der Altstadt vier Meter hoch.

 In der Nacht vom 3. auf den 4. November 1924 versagte die Marientorschleuse. Die Duisburger Altstadt wurde überflutet.

In der Nacht vom 3. auf den 4. November 1924 versagte die Marientorschleuse. Die Duisburger Altstadt wurde überflutet.

Foto: stadtarchiv

Hochwasser ist für die Duisburger über Jahrhunderte ein "normales wiederkehrendes Ereignis". Chronisten erinnern an die Magdalenenflut, die im Juli 1342 die Rheinaue unter Wasser setzte und weite Teile Deutschlands in unvorstellbarem Maße verwüstete. Vielleicht der Grund, weshalb Duisburg im 14. Jahrhundert zur Ackerbürgerstadt verfiel? 1571 wurde die Burg Knipp ein Opfer der Rheinfluten. Der Name "Haus-Knipp-Eisenbahnbrücke" erinnert an den alten Standort. Nur ein kleines Mädchen soll durch einen Hund gerettet worden sein. Oder das Dorf Halen, das 1596 samt Dorfkirche für immer in den Rheinfluten versank. Heute zeugt nur noch der am Ufer endende Niederhalener Dorfweg in Baerl von dem versunkenen Dorf. In stürmischen Nächten sollen angeblich Halens Glocken aus der Tiefe erklingen. Nun ja, das sind Legenden, aber die Angst der Menschen vor Hochwasserkatastrophen verblasst. Der niedrige Winter-Rheinpegel in Duisburg vermittelt derzeit ein trügerisches Sicherheitsgefühl.

Begeben wir uns auf eine Zeitreise in die 20er Jahre. Das Hochwasser von 1920 (12,73 m Rheinpegel) und 1924 (11,96 m Rheinpegel) hatten die Duisburger noch in unguter Erinnerung. Denn in der Nacht vom 3. auf den 4. November 1924 versagte die Marientorschleuse. Die Flut stieg drei Tage lang und das Wasser stand in den Häusern der Altstadt vier Meter hoch, so die Chronik der Liebfrauengemeinde. Ursache für das Desaster war ein fehlerhaft montierter Schieber im Marientorsperrwerk, so der Verwaltungsbericht aus dem Jahr 1924 der Stadt Duisburg.

 Seit Dezember 2016 hat Duisburg einen zusätzlichen Hochwasserschutz durch den Dammbalkenverschluss am Marientor.

Seit Dezember 2016 hat Duisburg einen zusätzlichen Hochwasserschutz durch den Dammbalkenverschluss am Marientor.

Foto: leskowar

Zwei Jahre später klingen die Nachrichten zum Jahresbeginn 1926 über einen Pegelstand von 7,51 Meter noch nicht bedrohlich. Doch der Rheinpegel steigt sechs Zentimeter stündlich. Gegen Abend sind es bereits 7,90 Meter. Die Schifffahrt wird eingestellt. Die amtlichen Nachrichten verkünden, dass die Bewohner bis zu einem Pegel von 8,20 m sicher seien. Doch die Flut steigt und steigt. Die Marientorschleuse hält den Fluten zwar stand, aber kleine Undichtigkeiten entstehen dennoch. Pumpen sind im Dauereinsatz. Ununterbrochen versuchen Feuerwehrleute und engagierte Helfer eine zusätzliche Notsperre aus Holzplanken, Sandsäcken und gestampftem Mist zu errichten.

Die Helfer sind am Ende ihrer Kräfte. Vom Wind angetrieben, steigt der Pegel über 8,20 Meter. Immer mehr Keller laufen voll. Über Notstege versuchen die Einwohner ihr Hab und Gut zu retten. Die Strom- und Telefonversorgung fällt aus. Der Straßenbahnverkehr wird eingestellt. Die Stadtverwaltung empfiehlt die Räumung der Häuser im Gebiet des Innenhafens.

Als das Wasser endlich zurückweicht, erkennt man das Ausmaß der Zerstörung. Im Zentrum steht nun die Frage, wie man eine solche Katastrophe verhindern könnte. Die Bürger fordern ein neues Sperrtor am Marientor als wirksamen Hochwasserschutz. Dies wird erst drei Jahre später in die Tat umgesetzt. Finanzielle Engpässe standen Hochwasserschutzmaßnahmen immer wieder im Weg. Vor 87 Jahren wurde endlich das heute in die Jahre gekommene Sperrtor fertiggestellt.

Heute muss es dringend modernisiert werden. "Bis 2020 soll der Umbau des Sperrtors abgeschlossen sein", so Oberbürgermeister Sören Link. Immerhin hat Duisburg seit Dezember 2016 einen zusätzlichen Hochwasserschutz durch den Dammbalkenverschluss am Marientor.

Der schützt die Innenstadt, solange der Wasserspiegel unter 13 Meter bleibt", erklären Experten der Wirtschaftsbetriebe. Der Notverschluss schützt rund 20.000 Bürger und sichert Vermögenswerte in Höhe von zwei Milliarden Euro. "Um den Dammbalken zu überwinden, muss es extrem stark regnen", sagte unlängst der Projektleiter. "So wie es nur einmal in 500 Jahren passiert." Aber so ist es mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung: Die Wiederkehrzeit heißt nicht, dass man 500 Jahre warten kann, bis es wiederkehrt, sondern dass ein Ereignis in diesem Zeitraum mindestens einmal vorkommt. Extremes Hochwasser könnte statistisch betrachtet auch in naher Zukunft auf Duisburg zukommen. Die Stadt hat deshalb im Jahr 2015 einen Hochwasser-Notfallplan vorgestellt. Ein Restrisiko bleibt.

Das zeigt die Studie der RWTH Aachen, die im Auftrag der Stadt erstellt wurde. Versagt das Sperrtor, hätte das dramatische Folgen: Das gesamte Innenhafengelände bis zur Küppersmühle würde überflutet. Betroffen wären Landesarchiv, Altmarkt, das Landesamt für polizeiliche Dienste und der U-Bahn-Tunnel. Das Szenario der RWTH-Forscher löst eine beunruhigende Vorstellung aus. Bisher ist ja alles gut gegangen.

Vielleicht haben die Duisburger dies ihrem Schutzpatron Salvator Mundi zu verdanken ?

Quellen: Stadtarchiv, Bd. 2 Chronik der Liebfrauengemeinde, Verwaltungsberichte der Stadt Duisburg. - Statistik der Hochwasserereignisse: www.hochwasser-rlp.de

(RP)
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