Loveparade-Prozess "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen"

Duisburg · Die Erwartungen an die vollständige Aufklärung des Loveparade-Unglücks von Duisburg sind kurz vor der Anklageerhebung im Kreis der Betroffenen gesunken. Die Loveparade-Selbsthilfe und Opferanwalt Julius Reiter sehen dem Prozess kritisch entgegen.

Kranzniederlegung an Gedenkstätte
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Reiter, der mit dem früheren Innenminister Gerhart Baum rund 100 Betroffene vertritt, sieht in der Verringerung der Zahl der Beschuldigten von einstmals 16 auf jetzt anscheinend zehn einen "negativen Effekt".

Wie zuletzt der "Spiegel" berichtete, soll die Polizei aus dem Kreis der Beschuldigten ausgeschieden sein. Auch Veranstalter Rainer Schaller von Lopavent und der Duisburger Bauordnungsdezernent sind demnach nicht dabei. Übrig seien Mitarbeiter von Stadt und Lopavent. "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen", betonte Reiter.

Ob Beschuldigte überhaupt verurteilt würden, sei nicht sicher, sagte Jürgen Hagemann vom Loveparade-Selbsthilfeverein. Die Staatsanwaltschaft wollte sich erneut nicht zur Anklage und zum Kreis der Beschuldigten äußern.

"Das Vorgehen bei der Loveparade erinnert mich an die drei Affen, die sich die Sinnesorgane zuhalten", sagte Reiter. "Die Stadt hat die Augen verschlossen und eine nicht genehmigungsfähige Veranstaltung ermöglicht. Der Veranstalter hat sich die Ohren zugehalten, um Sicherheitsauflagen nicht zu erfüllen. Und die Polizei hat den Mund nicht aufgemacht, um die Veranstaltung im letzten Moment abzublasen." Dabei habe das Gutachten des Panikforschers Keith Still eindeutig ergeben: Wenn man Menschen in entgegengesetzter Richtung durch so ein Nadelöhr führe, müsse es in einer Katastrophe enden.

Reiter sieht auch den Veranstalter Schaller von Lopavent nicht entlastet. Es stellten sich Fragen, in welchem Zusammenhang zum Beispiel Schallers Spardiktat vor der Veranstaltung mit dem Sicherheitskonzept gestanden habe.

Das Still-Gutachten habe gezeigt, dass auch am Veranstaltungstag die Entstehung der Katastrophe durch die Überfüllung der Rampe erkennbar und damit vermeidbar gewesen wäre. "Hier stellt sich also die Frage, wieso Schaller und sein Personal dies nicht erkannt haben." Es sei von Glück zu sprechen, dass es nicht noch mehr Tote gegeben habe, betonte Reiter. Am 24. Juli 2010 starben 21 Menschen, Hunderte wurden verletzt, Tausende Besucher und Angehörige erlitten psychische Schäden.

Jürgen Hagemann vom Loveparade-Selbsthilfeverein sieht die juristische Aufarbeitung und vor allem das bisherige Verhalten der Stadt Duisburg kritisch. "Ich hoffe, dass es wenigstens zu einem Prozess kommt", sagte Hagemann der Nachrichtenagentur dpa. Die juristische Aufarbeitung sei wichtig. Aber wenn es im Einzelfall heiße, es reiche nicht für einen Schuldspruch, müsse man das akzeptieren.

Er sei gespannt, wie die Stadt mit der Sache umgehe, sagte Hagemann, dessen Tochter bei der Techno-Veranstaltung verletzt wurde. Die Frage sei, ob es zu disziplinarischen Konsequenzen komme, wenn es keine Verurteilungen gebe. Die Stadt habe gesagt: "Wir warten die Urteile ab." Bislang seien überhaupt keine Konsequenzen gezogen worden. "Wir wissen, dass Mails verloren gegangen sind. Da haben offenbar Leute Mails verschwinden lassen. Und im Bauordnungsamt wurde wissentlich weggesehen."

Opferanwalt Reiter erwartet trotz der drohenden Widrigkeiten einen Fortschritt für Opfer und Angehörige. "Die Erhebung der Anklage ist eine Erleichterung, weil die Hängepartei nach dreieinhalb Jahren endlich beendet wird. Allerdings ist die Reduzierung der Anzahl der Angeklagten keine Ermutigung für die Opfer."

(lnw)
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