Interview: Gastbeitrag Harald Küst Die nächste Krise hat schon längst begonnen

Duisburg · 1929 brach weltweit die Wirtschaft zusammen. Gibt es Parallelen zu der heutigen Entwicklung?

Duisburg durchlebt von 1929 bis 1933 einen dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit: Im Jahr 1929 beginnt das Wachstum der Wirtschaft zu stagnieren. Die kurze Aufschwungphase der letzten drei Jahre legt eine Atempause ein. Das Arbeitsamt Duisburg führt den Anstieg der Arbeitslosenzahlen auf den extrem harten Winter 1928/29 und den geänderten Anspruchsvoraussetzungen der neuen Arbeitslosenversicherung zurück. Auf der anderen Seite des Atlantiks geht es an der US-Börse von Anfang 1928 bis September 1929 steil nach oben. Es herrscht eine trügerische Hausse.

25.10.1929: Als an diesem Tag die New Yorker Börse zusammenbricht, wird der Ruhrindustrie schlagartig ein großer Teil der amerikanischen Kredite entzogen. Die Firmen geraten in Zahlungsschwierigkeiten. Die Folge sind Massenentlassungen und Unternehmenszusammenbrüche. Der Export bricht ein, weil die Preise auf breiter Front verfallen und viele Länder ihre Binnenmärkte schützen wollen und mit protektionistischen Maßnahmen die Einfuhr fremder Waren verhindern. Die Firmenpleiten und Entlassungen in nahezu allen Branchen steigen. Nicht etwa nur ungelernte Arbeiter, sondern auch qualifizierte Angestellte verlieren ihre Jobs.

Gleichzeitig geht der Binnenmarkt in die Knie, denn statt ihn mit Konjunkturhilfen zu beleben, setzt die Reichsregierung ein eisernes Sparprogramm durch, das die Krise nur noch verschärft. Und der Verlust des Arbeitsplatzes ist oft gleichbedeutend mit dem Absturz in bittere Armut. Die meisten Arbeitslosen erhalten nur 37 Prozent ihres früheren Einkommens als Arbeitslosenunterstützung - und auch das nur für ein halbes Jahr. Aber wie soll ein Arbeiter von wöchentlich 15 bis maximal 22 Reichsmark seine Familie ernähren? Frauen erhalten sogar noch weniger, nämlich nur zehn bis 13 Reichsmark pro Woche. Die Sozialpolitiker, die die Arbeitslosenversicherung geschaffen haben, sind bei der Kalkulation der Beiträge von der relativ guten Beschäftigungslage des Jahres 1927 ausgegangen. Dies heißt, dass reichsweit von einer jährlichen Zahl von 700 000 bis 800 000 Arbeitslosen ausgegangen wurde. Aber diese Berechnungen werden bald Makulatur. Wer länger arbeitslos bleibt, und das betrifft zu dieser Zeit die allermeisten, ist schon bald auf die Krisen- und dann Wohlfahrtshilfe angewiesen. Die Rücklagen der Arbeitslosenversicherung sind aufgezehrt. Die Kommune stürzt in eine Haushaltskrise, da sie nicht in der Lage ist, sind die explodierenden Sozialkosten (Wohlfahrtshilfe oder "Ausgesteuertenfürsorge" - ein Vorläufer von Hartz IV) aus eigenen Mitteln zu tragen. Duisburg ist 1929 mit rund 35 Prozent Spitzenreiter bei den Arbeitslosenzahlen. Jetzt treten die Strukturprobleme des Bergbaus offen hervor. Armut und Hunger sind traurige Realität. "Hamstern" und Kohlenklau wird zur Überlebensstrategie. Die Kriminalität steigt, und in Duisburg verwildern die Sitten. Das Elend verschärft die politische Polarisierung und Radikalisierung.

Sicherlich sind die damaligen politischen und wirtschaftlichen Konstellationen mit der heutigen Situation nicht vergleichbar. Duisburg gehört zu den Städten mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung. Die hohen Arbeitslosen- und Hartz- IV-Empfängerzahlen sind Indikatoren der Krise. Die Ähnlichkeiten zur Zeit der Weltwirtschaftskrise sind frappierend: Als finanziell notleidende Kommune nimmt die Stadt am sogenannten Stärkungspakt teil. Die Hilfszahlung ist mit Sparauflagen verknüpft. Für 2014 ist das Sparziel gefährdet.

Den Duisburgern Finanzexperten macht besonders die Entwicklung des Sozialetats Sorgen. Die Kostensteigerungen im Asylbereich sind nicht ausreichend durch zusätzliche Gelder vom Land gedeckt. Risiken gibt es insbesondere auch im Bereich der Jugendhilfe und in der Hilfe bei der Pflegebedürftigkeit Älterer. Hinzu kommt, dass der Spielraum der Stadt zu gering ist, um die Mietzuschüsse (KdU) für Hartz-IV-Empfänger anzupassen. In allen Bereichen drohen tiefe Einschnitte. Das allein wird aber wohl nicht reichen. Die finanzielle Lage ist mehr als nur dramatisch. Duisburg fordert, dass endlich Land und Bund eingreifen und helfen. Der Bund will aber nicht einfach das Geldproblem der Kommunen lösen. Er will sie zu mehr Eigenverantwortung zwingen. Sprich: zu mehr Wettbewerb. Die Kommune beklagt andererseits zu Recht, dass der Bund die Folgekosten gesetzlicher Regelungen auf die Stadt abwälzt. Doch was heißt das für eine klamme Kommune? Um nicht ständig die Steuern erhöhen zu müssen, muss eine Stadt wie Duisburg radikal sparen.

Fazit: So bleibt es bei der bedrückenden Parallele zu 1929: Die Schulden-und Bankenkrise ist noch nicht ausgestanden. Fehlender wirtschaftspolitischer Reformwille, Ignoranz und unterschiedliche Interessen auf EU- Bundes- , Landes - und kommunaler Ebene werden auch künftig Auslöser gefährlicher Kettenreaktionen werden. Die nächste Krise hat schon längst begonnen.

Über den Autor

Der Duisburger Harald Küst ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Hamm. Er ist Mitglied der Gesellschaft für Westfälische Wirtschaftsgeschichte e.V. (GWWG).

(RP)
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