Duisburg Die umgedrehte Weltlage gedacht

Duisburg · Das Theater Strahl Berlin brachte zu den 39. Duisburger Akzenten "Nie wieder Krieg?"im Foyer III unterm Dach des Theaters eine Bühnenfassung des Bestsellers "Krieg. Stell dir vor er wäre hier" von Janne Teller.

 Adrienn Baszó und Oliver Moritz gaben zwei eindringliche Identifikationsfiguren.

Adrienn Baszó und Oliver Moritz gaben zwei eindringliche Identifikationsfiguren.

Foto: Jörg Metzner

Ein gedanklicher Hintergrund der Akzente ist die Absicht, die Schrecken des Krieges auch jenen jüngeren Generationen näher zu bringen, für die das sehr abstrakt ist. Da durfte das entsprechende (Jugend-) Buch nicht fehlen, ein Gedankenexperiment in der zweiten Person Singular: Stell dir vor, es ist Krieg - nicht irgendwo weit weg, sondern hier in Europa, in Deutschland. Die demokratische Politik ist gescheitert und faschistische Diktaturen haben die Macht übernommen. Du lässt das alles hinter dir. Du bist auf der Flucht. In einem ägyptischen Flüchtlingslager versuchst du, mit deiner Familie ein neues Leben zu beginnen. Weil du keine Aufenthaltsgenehmigung hast. kannst du nicht zur Schule gehen, kein Arabisch lernen, keine Arbeit finden. Du fühlst dich als Außenseiter und sehnst dich nach Zuhause. Doch wo ist das?

Das Buch, in dem die gewohnte Weltlage einfach umgedreht wird, entstand noch vor der jüngsten Flüchtlingskrise. Inzwischen ist es noch aktueller geworden. Der Krieg sei ausgebrochen, heißt es darin, als Deutschland nicht mehr bei der Europäischen Union mitmachen wollte, denn es "konnte nicht auf Dauer für alle anderen bezahlen, die nichts wollen als streiken und Rotwein trinken", vor allem für Griechen und Franzosen. Nun gibt es europäische Flüchtlinge, "die nicht wissen, wie man sich in einer klassischen Kulturgesellschaft benimmt, dass man seinen Nachbarn respektiert, den Gast höher stellt als sich selbst und die Tugend einer Frau achtet. Flüchtlinge, die nicht wissen, wie man in der Hitze lebt. Nein, es gibt kein Land, das die dekadenten Menschen aus dem Norden aufnehmen will. Freidenker, die nur den Lebensstil der Rechtgläubigen verderben wollen." Über die Neuankömmlinge in der arabischen Welt wird dann später gesagt: "Außerdem sind die Europäer unzüchtige Heiden, die die Gesellschaft korrumpieren, in die sie sich einschleusen. Die Europäer denken, sie seien jedem ebenbürtig, sie haben keine Disziplin, und besonders die Frauen sind schlecht erzogen und geben in jeder Hinsicht Anlass zur Unruhe, egal wie oft man sie über die Sitten und Gebräuche ihres Gastlandes belehrt." Anna Vera Kelle hat das bildmächtig inszeniert, Adrienn Baszó und Oliver Moritz geben zwei eindringliche Identifikationsfiguren. Sie fügen dem Text theatrale Akzente und wo nötig auch verdeutlichende Aktualisierungen hinzu, zum Beispiel als stumme und lebensgefährliche Flucht über das Mittelmeer oder wenn sie sich an die nur drei Jahre zurückliegende "gute alte Zeit" in Berlin erinnern, als man als junger Mensch einen coolen Abend mit einem Justin-Bieber-Konzert haben konnte.

Donnernder Applaus.

(hod)
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