Interview: Serie Innenansichten Die Vergangenheit sicher im Depot

Duisburg · Nur etwa ein Zehntel der möglichen Ausstellungsstücke des Kultur- und Stadthistorischen Museums können öffentlich präsentiert werden. 90 000 Objekte werden in den Magazinen in der oberen Etage des Gebäudes aufbewahrt.

 Dr. Renate Sommer steht hier im eigentlichen Herzstück des Kultur- und Stadthistorischen Museums: im Depot. Den Besuchern bleibt der Blick in diese Schatzkammer verwehrt.

Dr. Renate Sommer steht hier im eigentlichen Herzstück des Kultur- und Stadthistorischen Museums: im Depot. Den Besuchern bleibt der Blick in diese Schatzkammer verwehrt.

Foto: Christoph Reichwein

Dr. Susanne Sommer öffnet einen tresorartig gesicherten Raum voller Regale. "Sie können alles anschauen. Aber bitte nichts anfassen!", sagt die Direktorin des Kultur- und Stadthistorischen Museums, als sie ins Sesam des Hauses, das Depot, führt. Das befindet sich nicht, wie sonst bei Museen, im Untergeschoss oder Keller, sondern in der dritten Etage der ehemaligen Getreidemühle, die nach einem aufwendigen Umbau seit 1991 das Museum beherbergt. "Das Depot ist das Herzstück des Museums", sagt Susanne Sommer. Diese Einschätzung lässt sich sogar mit Zahlen belegen. Heute verfügt das Kultur- und Stadthistorische Museum über rund 100 000 mögliche Ausstellungsstücke (die gewaltige Münzsammlung der Köhler-Osbahr-Stiftung nicht mitgerechnet). Aus Platzgründen können "nur" etwa 10 000 dieser Objekte in den Schauräumen gezeigt werden.

Die imposante Sammlung entstand im Laufe von vielen Jahren. Das heutige Kultur- und Stadthistorische Museum hat seinen Ursprung im Duisburger Heimatmuseum, das sich im Dachgeschoss des 1902 eingeweihten Rathauses befand. Susanne Sommer zeigt Fotografien, die vor mehr als 100 Jahren aufgenommen wurden. Auf einigen Aufnahmen sind ziemlich deutlich Gemälde von historischen Persönlichkeiten zu erkennen. Dieselben Gemälde befinden sich heute im Depot des Museums. Sie haben zwei Weltkriege ohne Beschädigungen überstanden.

Nicht zuletzt deshalb, weil die Bestände des ehemaligen Stadtmuseums sicher vor Bomben von Prof. Fritz Tischler, der seit 1938 für die Stadt Duisburg tätig war, ausgelagert worden waren. Susanne Sommer fühlt sich mit ihren Vorgängern solidarisch: "Wir haben Verantwortung dafür, dass die Bestände des Museums, in der die Vergangenheit gewissermaßen aufbewahrt wird, nicht verlorengehen."

Das Depot des Museums besteht aus mehreren "Magazinen". Das mit den kostbarsten Objekten enthält Karten und Grafiken, darunter auch Werke von Gerhard Mercator und seinen Zeitgenossen. Diese "Papierwerke" verlangen bei der Aufbewahrung besondere Sorgfalt. Der Raum, in dem sie lagern, ist stets 18 Grad warm und hat eine Luftfeuchtigkeit von 55 Prozent. Die Karten sind mit säurefreiem Seidenpapier umhüllt.

Das Möbel-Magazin sieht natürlich ganz anders aus. Hier sind zumeist sperrige Gegenstände aus Holz aufbewahrt, beispielsweise historische Truhen. Besonders umfangreich ist das so genannte Kulturmagazin. Hier findet man wertvolle niederrheinische Keramiken, die für das Museum wichtig sind, weil sie zum "Alleinstellungsprofil" des Hauses gehören. Darüber hinaus findet man in diesem Magazin höchst unterschiedliche Objekte, wie etwa ein altes Kofferradio, einen Soldatenhelm aus dem Zweiten Weltkrieg, Arbeiterskulpturen, Bügeleisen aus dem 19. Jahrhundert, ein Staubsauger aus den 50er Jahren, alte Kelche und Gläser, alte Schlittschuhe und vieles mehr. All diese Gegenstände wurden einst ausgegraben, vom Museum gekauft oder gingen als Schenkungen in die Sammlung ein.

Heute würde man für das Museum nicht alle Schenkungsstücke annehmen, die angeboten werden. So verweist Susanne Sommer Privatleute, die dem Museum Erbstücke überlassen möchten, gelegentlich an andere Museen, die auf genau solche Gegenstände spezialisiert sind. Aber sie freut sich, wenn sie solche Schenkungsangebote kommt. Das zeige die Verbundenheit der Menschen mit dem Museum. Susanne Sommer: "Wir Museumsleute beherzigen die 'Goldene Regel', das wir alles, was zum Museumsbestand gehört, auch pflegen." Alle Gegenstände im Depot sind nummeriert und im Inventarverzeichnis eingetragen. Neben der Nummerierung, die gemäß der üblichen Archivierungsmethode nach dem Zeitpunkt des Eingangs erfolgt, gibt es noch ein thematisches Verzeichnis.

Selbstverständlich gelangen immer wieder einzelne Objekte oder Objektserien aus dem Depot ans Licht der Öffentlichkeit; mal für eigene Ausstellungen, mal als Leihgaben für andere Museen. Und so manches Stück, das jahrzehntelang im Depot gelagert wurde, wird unerwartet aktuell, wie Susanne Sommer bei der Vorbereitung der kommenden Akzente zum Thema Heimat wieder einmal gemerkt hat.

Der Gang durchs Depot ist für die Museumsdirektorin aber auch noch aus einem weiteren Grund interessant: Die Sammlung selber zeige, dass das Museum im Laufe der Jahrzehnte unter ganz unterschiedlichen Blickwinkeln gesammelt hat. Anfangs ging es nur darum, gute alte Relikte der Vergangenheit aufzubewahren. Dagegen wurde in der "kritischen" Zeit der 60er und 70er Jahre ganz stark der unmittelbare Bezug zur Gegenwart gesucht. Die niederrheinischen Keramiken beispielsweise schienen damals nicht so interessant zu sein. Das änderte sich vor kurzem aber, als klar wurde, dass diese Keramiken Ende der 20er Jahre, also kurz vor der Nazizeit, von honorigen Duisburger Bürgern, die zur jüdischen Gemeinde gehörten, dem Museum überlassen wurden. So kann es sein, dass einige dieser bemalten Teller und Schüsseln im künftigen Zentrum der Erinnerungskultur gezeigt werden.

(RP)
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