Francine Mayran Die Würde der Opfer für alle Zeit bewahren

Duisburg · Die französische Künstlerin und Psychiaterin stellt beeindruckende Porträts zum Thema Shoah und Verfolgung in der Salvatorkirche aus.

 Die französische Künstlerin und Psychiaterin Francine Mayran.

Die französische Künstlerin und Psychiaterin Francine Mayran.

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In der Salvatorkirche Duisburg werden vom 24. bis 31. Januar Gemälde zum Themenkomplex Holocaust und Verfolgung der Straßburger Künstlerin und Psychiaterin Francine Mayran gezeigt. Eröffnet wird diese Präsentation von Bildern und Gemälden, vor allem Porträts, am 24. Januar, mit einem Gemeindegottesdienst um 10 Uhr. Im Anschluss gegen 11 Uhr wird Francine Mayran eine Ansprache halten. Musikalisch begleitet die Gedenkveranstaltung, die von der Vereinigung "Gegen Vergessen - Für Demokratie" ermöglicht wird, der Chor der Jüdischen Gemeinde Duisburg- Mülheim-Oberhausen. Mit Francine Mayran führte im Vorfeld Redakteur Peter Klucken ein Mail-Interview, freundlich unterstützt von der Übersetzerin Patricia Harder. Hier die gekürzte Fassung.

 Anne Frank, gemalt von Francine Mayran.

Anne Frank, gemalt von Francine Mayran.

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Wie sind Sie zu Ihrem Thema gekommen?

 Janusz Korszak, gemalt von Francine Mayran.

Janusz Korszak, gemalt von Francine Mayran.

Foto: dominique conrath

Francine Mayran Die Shoah zu malen war für mich kein bewusster Plan, sondern eine schrittweise Entwicklung. Ich würde wie der amerikanische Maler Samuel Back sagen, dass "es der Holocaust ist, der mich gewählt hat, um einer seiner Träger der Zeugenaussage zu sein". Seit 2008 ist meine Arbeit in mehreren Etappen geschaffen worden: eine Zeit malte ich, ohne zu bemerken, dass sich die Shoah schon in meinen Werken verbarg. Dann folgte eine Zeit, in der ich beschloss, den kollektiven Schmerz und den Identitätsverlust zu malen, sich mir ein Gemälde aus einem Foto einer Gruppe von Deportierten aufdrängte. Etwas anderes zu malen, hatte keinen Sinn mehr für mich. Ich beschloss bewusst, fortzufahren und die Shoah aus Archivfotos von Deportierten zu malen.

Aber wie malt man die Shoah?

Francine Mayran Die Shoah zu malen, ist keine leichte Sache. Ich empfinde in mir die Schmerzen der Deportierten und der Überlebenden. Es ist nicht leicht, dem Unwohlsein zu trotzen, das das Thema beim Publikum hervorruft. Darf man die Shoah malen, obwohl man sie nicht selbst erlebt hat? Es ist eine Malerei, die stört. Aber wie Picasso selbst es sagte, hier "ist die Malerei ein Instrument des Angriffskriegs und Defensive gegen den Feind", und für mich ist der Feind die Passivität und die Gleichgültigkeit.

Sie haben als Psychiaterin gearbeitet und nun schaffen Sie als Künstlerin mit Ihren Ausstellungen einen "Europäischen Weg der Erinnerung". Wie gehört das für Sie zusammen?

Francine Mayran Als Psychiaterin helfe ich jedem Patienten, mit seinen Grenzen und seinen Kräften zu leben. Ich höre und ermögliche, die Worte hinter der Stille zu fassen, die Trauer und die Verletzungen zu ertragen, aus jeder Lebensgeschichte zu schöpfen, um die Kraft zu finden, die Schwierigkeiten und Dramen zu überwinden, um den wertvollen Sinn seines Lebens wiederzufinden. Durch meine Ausstellungen versuche ich in meinen Porträts, das Leben von denjenigen zu verlängern, die nicht mehr da sind und durch kommentierte Führungen, Überlebenden oder Nachkommen zu ermöglichen, ihre Zeugenaussage dem Publikum mitzuteilen, um den Verlust spürbar zu machen, den jedes Opfer für eine Gesellschaft darstellt ebenso wie den kostbaren Wert jedes Lebens. Ich wünsche mir, dass ein Nachklang des "Menschheitsechos" sich von einem Ort zum anderen verbreitet.

Sie zeigen in Ihren Ausstellungen keine Fotografien, sondern malen Porträts, die in meinen Augen Charakterstudien sind. Wie nähern Sie sich künstlerisch den von Ihnen Porträtierten?

Francine Mayran Das ist eine langwierige Arbeit in mehreren Etappen, aus Fotos, Zeugenaussagen, aus historischen Spuren der Vergangenheit. Eine emotionale Zeit der Integration der individuellen Geschichte, in der ich durch Lektüren, Abhören der Zeugenaussagen, mich von den Schmerzen der Deportierten überwältigen lasse. Es ist ein Moment der Identifizierung, wie man auf Deutsch sagt "miterleben", durch eine "wieder erkennende Sympathie" empfinde ich intensiv das Unannehmbare. Dann kommt die Zeit des Schaffens, in der ich das Foto und die Zeugenaussage verkläre und sie in ein persönliches Werk einbinde wie in einer Nachkommenschaftsverbindung. Das sind Gesichter, wo ich Zonen des Lichts und Zonen der Schatten verstärke, so etwas sichtbar wird oder verborgen bleibt - um das menschliche Gefühl zu verstärken. Mit 200 Porträts in Öl auf Beton (wie Stelen in Erinnerung an alle Vermissten) will ich die menschliche Dimension der Shoah weitergeben. Die mit den Zahlen übersäten Gesichter symbolisieren die individuellen Existenzen, die durch die Barbarei entmenschlicht sind, die die Opfer in einfache Nummern verwandeln will. Aber es sind herzliche Gesichter, in der der Mensch stärker ist als der Wille der Henker zu entmenschlichen. Ich will die Würde denjenigen zurückgeben, die man namenlos wollte.

Was möchten Sie mit Ihren Ausstellungen erreichen?

Francine Mayran Wie ein "Gedächtnisschlepper", will ich die letzten direkten Zeugen ersetzen, die nach und nach von uns gehen, um sich an neue Zeugen zu wenden: Um für die Gefahr, die Geschichte zu wiederholen, zu sensibilisieren und um eine Hoffnung in der Zukunft weiterzugeben. Meine Ausstellungen bauen eine Kette der Weitergabe, um uns zu hindern, diejenigen zu vergessen, die verschwunden sind. Um die Gleichgültigkeit zu hinterfragen und "die unauslöschlichen Spuren der Shoah" und aller Genozide, die wir unsere Zivilisationen nennen, gefährden. Ich will aber auch daran erinnern, dass manche sich widersetzten oder Gerechte waren, die den Wert der Menschenrechte bewahren konnten - um zu erinnern, dass jeder auch die Möglichkeit hat, das Gute zu tun. Mit dem Europarat und direkt auf dem "Gelände" in den Schulen, arbeite ich pädagogische Projekte aus, damit die Kunst an der Seite der Geschichte die Jugendlichen aufrüttelt, ihr Gewissen weckt und sie an die menschliche Dimension des Holocausts erinnert, damit sie ihrerseits die Weitergabe fortführen und den kostbaren Wert jedes menschlichen Lebens nicht vergessen.

(RP)
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