Renate Habets "Drüben" kann überall sein

Duisburg · Renate Habets schrieb ihr erstes Buch erst, als sie in Pension war. Seither hat sie mehrere Bücher geschrieben. "Drüben" heißt ihr jüngster Roman - und erzählt die Geschichte einer Frau, die durch den Mauerbau von ihrer Familie getrennt wurde.

Renate Habets (Jahrgang 1945) hat viele Jahre lang als Deutsch- und Geschichtslehrerin am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums gearbeitet. Zuletzt war sie dort stellvertretende Schulleiterin. Nach ihrer Pensionierung entdeckte sie die Malerei für sich und schrieb Romane, deren Qualität nicht darauf hinweist, dass es sich um eine "beginnende Schriftstellerin" handelt. Vier Romane hat sie bislang geschrieben:

"Ich will Erzbischof werden" (2007), "Thea" (2010), "Die Drei" (2012) und "Die rote Lene" (2013). Hinzu kommt der Band mit Erzählungen "Kiesel zum Gedenken" (2012). Jetzt hat Renate Habets mit "Drüben" ihren fünften Roman veröffentlicht, der zwar handlungsarm ist, aber dennoch die Leser in Bann ziehen kann. Er beschreibt die Lebensgeschichte einer Frau, die ihre Wurzeln in der ehemaligen DDR hat. Durch Zufall ist sie am Tag des Mauerbaus zu Besuch in Westberlin und kann nicht zurück - die Frau bleibt im Westen. Bisweilen ist sie voller Zorn, weil sie zum Spielball von Umständen geworden ist, die sie nicht ändern kann.

"Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!" Diesen berühmt-berüchtigten Satz hat Walter Ulbricht zwei Monate vor dem Bau der Mauer gesagt. In Ihrem Roman "Drüben" wird dieser Satz, diese bekannte Geschichtslüge, nicht zitiert. Warum eigentlich nicht?

habets Ich wollte keinen politischen Roman schreiben, ganz bewusst nicht, weil ich denke, dass meine Stärken beim Schreiben mehr im psychologischen Bereich liegen. Mir ging es darum aufzuzeigen, was die politischen Verhältnisse mit einem völlig unpolitischen Menschen machen. Das Beispiel dafür ist Felicitas, die nach dem Mauerschock nirgendwo mehr ihr Glück finden kann (will?). Menschen wie sie gibt es so oft allüberall "drüben" , wo immer das auch ist.

"Drüben" bezeichnet in Ihrem Roman einen Sehnsuchtsort. Allerdings ist dieser Ort nicht - wie in der "üblichen Perspektive" - die Bundesrepublik Deutschland, sondern die DDR. Und dennoch ist Ihr Roman keine Beschönigungsgeschichte der DDR. War es vor diesem Hintergrund für Sie ein Problem, die Lebensgeschichte der Felicitas glaubwürdig zu schreiben?

habets Ich habe ganz viel recherchiert, weil ich selbst ja überhaupt keine - auch keine familiären - Berührungspunkte mit der DDR hatte. Im übrigen kann man auch heute noch in Berlin an vielen Stellen bemerken, wie die Situation vor dem Mauerbau gewesen sein muss. Im übrigen hat ja auch die BRD ihre Schwierigkeiten für die Bewohner, wenn man sie als "Sehnsuchtsort" darstellen wollte. Natürlich war das "Umswitchen" ein Problem, aber das kennt man ja als Autorin, da muss man sich drauf einlassen. "Drüben" ist überall.

Felicitas wird nicht als Frau geschildert, die die uneingeschränkte Sympathie des Lesers findet. Vielmehr ist sie eine Frau, die die Trennung von ihrer Familien nicht überwinden kann, die oft verbittert ist, die die Nähe zu anderen Menschen meidet und möglichen Freunde vor den Kopf stößt. Ist "Drüben" ein psychologischer Roman?

habets Ja, das denke ich voll und ganz. Nach den Schwierigkeiten, die jeder Autor wohl immer hat, habe ich mich in Felicitas reinversetzt, ja, es war sogar so, dass ich bei meinem vielzähligen Berlin-Besuchen, die ich auch zum Recherchieren gemacht habe, zunehmend begann, mit ihren Augen zu sehen. Auf dem Bahnsteig spürte ich das Beben der einfahrenden Züge durch sie, der Prenzlauer Berg wurde mir sehr suspekt, weil ich plötzlich merkte, dass Renate Felicitas war.

Steckt viel von Ihnen in Ihrer Romanheldin, die ja auch als starke Frau beschrieben wird?

habets Renate in Felicitas? Auch wenn ich es nicht weiß oder benennen kann - es ist bei mir wohl immer ein Stück Autor im Romanhelden. Und im übrigen war es eine wirklich tolle Erfahrung, einer Stadt, die ich vor mehreren Jahren erstmals besuchte, in der Vorstellung oder Phantasie einer Person zu begegnen, die mich "besetzte" und ins "Leben geschrieben" werden wollte - meine Figur Felicitas, die wirklich nicht so recht Sympathische.

(RP)
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