Duisburg-Marxloh "Merkels Besuch wird nichts ändern"

Duisburg · Am morgigen Dienstag besucht die Bundeskanzlerin Duisburg-Marxloh und redet mit 60 Bürgern im "Hotel Montan" über das Leben vor Ort. Sie selbst sagte, nur wer angstfrei lebe, könne auch gut leben. Die Erwartungen an das Treffen sind aber gering.

Duisburg-Marxloh: Angela Merkel beim Bürgerdialog
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Angela Merkel besucht Duisburg-Marxloh

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Foto: dpa, rwe mg

Vor fünf Jahren stand Jürgen Ohl im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens in Duisburg: Eine Session lang war das Mitglied des Karnevalvereins "Marxloher Jecken" Stadtprinz. Ohl ist Eigentümer des "Hotel Montan" und somit quasi "Gastgeber" für Bundeskanzlerin Angela Merkel, die am Dienstag dort mit rund 60 ausgesuchten Bürgern in den Dialog kommen will. Der 58-Jährige wird selbst nicht dabei sein. Er erholt sich gerade von einem Herzinfarkt. Hotel und Gaststätte hat er verpachtet, wohnt im einige Kilometer entfernten ruhigeren Walsum. "Aber es ärgert mich, wenn über Marxloh so negativ berichtet wird", sagt er. Der Besuch der Kanzlerin werde daran aber nichts ändern, "und dabei wird auch nichts rumkommen", ist er überzeugt.

Duisburg-Marxloh - Porträt eines Problem-Stadtteils
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Duisburg-Marxloh - Porträt eines Problem-Stadtteils

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Foto: dpa, mjh fg lof

Angela Merkel hatte kurz vor ihrem Besuch in einem Video dazu aufgerufen, die Ängste der Anwohner ernst zu nehmen. In dem Podcast zu ihrem dritten Bürgerdialog sagte sie: "Wenn die Menschen den Eindruck haben, dass ihre Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist, dann stimmt etwas nicht." Dann könne man "auch nicht gut leben in Deutschland. Denn "gut leben" bedeute auch Angstfreiheit. So schwierig es sei, Familienclans und entsprechende Strukturen aufzubrechen, "so sehr müssen wir doch daran arbeiten", betonte sie.

Als der gebürtige Hesse Ohl vor rund drei Jahrzehnten die Immobilie von seinem Onkel übernahm, "da war es hier noch anders", sagt er. Die Montagearbeiter für die Thyssenwerke hätten garantiert, dass die Hotelbetten gut belegt waren. Und im Lokal trafen sich die Marxloher zum Klönen, Feiern und auf ein Bierchen. Doch die Zeiten sind lange vorbei. "Die Gaststätte ist inzwischen nur noch an zwei Tagen in der Woche geöffnet", sagt er. "Die Leute hier haben doch kein Geld mehr." Immerhin hielten ihm die beiden örtlichen Karnevalsvereine mit ihren Sitzungen die Treue. Auch ein Männergesangverein übe regelmäßig im Saal des Hotels. Die Ausübung von deutschem Brauchtum allerdings bedürfe einer deutschen Bevölkerung. Die aber ist in Marxloh seit Jahren rückläufig. So sehr er die türkischen Nachbarn schätze, Männergesangverein und Karneval sei nicht unbedingt deren Ding.

Nachts unterwegs in Duisburg-Marxloh
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Nachts unterwegs in Duisburg-Marxloh

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Foto: Christoph Reichwein

In den vergangenen Tagen wurde das "Hotel Montan" für den Besuch der Kanzlerin herausgeputzt. "Wir mussten einiges an Möbeln heraustragen, um Platz zu schaffen für die Sicherheitsschleusen, durch die jeder an diesem Tag gehen muss." Dort werden die Bürger dann mit der Kanzlerin in den Dialog treten. Das Bundeskanzleramt hatte dazu die Entwicklungsgesellschaft Duisburg gebeten, eine Liste mit Vertretern von Vereinen, Institutionen, Schulen sowie Privatpersonen zu erstellen, die für den Bürgerdialog in Frage kämen. "Wir haben daraufhin eine Vorschlagsliste erstellt und sie dem Kanzleramt geschickt. Dieses hat dann eine Auswahl getroffen und die Leute eingeladen", erklärt Geschäftsführer Heiner Maschke.

Jürgen Ohl hat ebenso wie die Marxloher Bürger, die sich mit einem offenen Brief an die Kanzlerin gegen die Zustände in ihrem Stadtviertel wehren und morgen eine Unterschriftenliste an Merkel überreichen wollen, beobachtet, dass sich die Lebenssituation spürbar verschlechtert hat. Seit 2014 sind vermehrt Bulgaren und Rumänen in den Stadtteil gezogen, weil dort der Wohnungsleerstand besonders groß ist und in Sichtweite der Thyssen-Werke Mietobjekte preiswert sind. Er hat in den Jahren davor erlebt, dass etliche Millionen Euro Fördergelder (vor allem der EU) nach Marxloh geflossen sind. "Doch davon sehen Sie heute nichts mehr", meint Ohl.

Am Tag nach dem Merkelbesuch wird die Entwicklungsgellschaft einen Teil eines neuen Grünzuges in Betrieb nehmen. Dafür waren ganze Häuserzeilen abgerissen worden. Ohl ist skeptisch, dass das lange schön bleibt. Auch die in einem anderen Park gebauten Minigolf- und Skateranlagen seien zerstört worden. Er stimmt mit dem Marxloher Rechtsanwalt Rainer Enzweiler überein, der sagt: "Nur eine massive Verstärkung von Polizei und Ordnungskräften stellt die öffentliche Ordnung wieder her." Der Alltag werde zunehmend belastender. "Wenn wir in Duisburg-Marxloh nicht schnell zu funktionierenden Lösungen kommen, driftet der Norden endgültig ab", meint Enzweiler.

Dass Marxloh inzwischen eine No-Go-Area, also ein rechtsfreier Raum ist, stimme nicht. "Hier ist keineswegs alles gut, aber so schlecht, wie es in den Medien oft dargestellt wird, ist die Situation ebenfalls nicht", sagt Karl-August Schwarthans, Geschäftsführer der Awo-Integrationsgesellschaft, die sich als einer der wichtigsten Ansprechpartner in dem Stadtteil versteht. Sie unterhält in Marxloh Tagesgruppen für Kinder, bietet Jugendlichen und Erwachsenen Rat und Hilfe an.

Ein Vertreter der Arbeiterwohlfahrt wird beim Gespräch mit der Kanzlerin dabei sein. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, könnte er zum Beispiel ein geplantes Projekt vorstellen, mit dem Jugendlichen aus Südosteuropa der Zugang zum Bildungssystem erleichtert werden soll. Nach Ansicht von Schwarthans ist weniger die Zuwanderung als die Armut der Menschen das größte Integrationshemmnis. Er sagt aber auch: "Die Ordnungskräfte müssen dafür sorgen, dass sich ganz normale Bürger sicher in ihrem Quartier fühlen. Genau dieses Gefühl droht inzwischen verloren zu gehen."

(RP)
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