Duisburg Duisburgs fast vergessenes KZ

Duisburg · Zwischen Oktober 1942 bis kurz vor Ende des Krieges gab es in Meiderich ein Konzentrationslager. Erst im Jahr 1983 wurde dessen Existenz näher beleuchtet, dank einer Lehrerin und Schülern des Theodor-Heuss-Gymnasiums.

 Die Aufnahme zeigt Häftlinge des KZ-Außenlagers Ratingsee auf dem Weg zu Aufräumarbeiten in der Duisburger Innenstadt nach einem Luftangriff im Jahr 1943.

Die Aufnahme zeigt Häftlinge des KZ-Außenlagers Ratingsee auf dem Weg zu Aufräumarbeiten in der Duisburger Innenstadt nach einem Luftangriff im Jahr 1943.

Foto: Willy van Heekeren (Ruhr-Museum)

Vermutlich kann man sich die Lebensumstände der 400 Häftlinge im KZ-Außenlager Ratingsee in Meiderich gar nicht schlimm genug vorstellen. Die Gefangenen waren in zehn zusammengezimmerten Baracken auf engstem Raum untergebracht. Von sanitären Anlagen, die einen solchen Namen verdienen, konnte keine Rede sein: Die 400 Insassen mussten sich einen einzigen Waschraum teilen. An zureichender Körperpflege war nicht zu denken; entsprechend groß war die Zahl der Kranken. Das KZ war von einem Stacheldrahtzaun umgeben. Die Wärter, die offenbar meist der SS angehörten, patrouillierten mit scharf gemachten Hunden. Das Duisburger KZ wurde im Oktober 1942 errichtet. Erst das unmittelbar bevorstehende Kriegsende machte es zu einem vergangenen dunklen Kapitel der Geschichte.

All das wüssten wir heute vermutlich nicht mehr, wenn die Geschichtslehrerin Annelie Klother 1983 nicht durch Zufall von diesem KZ erfahren hätte. Sie motivierte ihre Schüler des Theodor-Heuss-Gymnasiums, sich mit dem "vergessenen" Duisburger Konzentrationslager näher zu beschäftigen. Je mehr die Schüler dies taten, desto stärker wuchs die Erkenntnis, dass man dieses Konzentrationslager in Duisburg nicht totschweigen dürfe.

In einem Aufsatz für den Band "Tatort Duisburg" beschrieb Annelie Klother einige Jahre später, wie ihre Schüler aktiv wurden. Eine Schülergruppe habe die damals verfügbaren Informationen gesammelt und ausgewertet. Schnell waren sich die Beteiligten darin einig, dass diese Arbeit über einen schulischen Projektunterricht weit hinaus geht. Die Schüler wollten ihre Erkenntnisse öffentlich bekannt machen und starteten eine Unterschriftensammlung für eine Gedenktafel.

Der erste Informationsstand auf der Straße sorgte für beträchtliches Aufsehen. Annelie Klother: "Einige Menschen reagierten ablehnend aggressiv, andere beschimpften uns als Lügner oder drohten uns sogar Prügel an; aber viele Menschen bestätigten uns auch sehr herzlich in unseren Anliegen und brachten spontan ihre Erlebnisse während der Nazi-Zeit hervor."

Nicht zuletzt dank der Unterstützung des damaligen Oberbürgermeisters Josef Krings wurde am 1. September 1984, dem Antikriegstag, das Mahnmal für das Konzentrationslager in Meiderich-Ratingsee enthüllt. An der Gedenkstunde auf dem Platz der Bezirkssportanlage Ratingsee nahmen auch Vertreter der russischen, polnischen, französischen und niederländischen Botschaft teil. Mit dabei waren auch, so heißt es im Bericht der Rheinischen Post, "diejenigen, die das Mahnmal erst möglich gemacht hatten: Schüler der ,Initiative wider das Vergessen' am Theodor-Heuss-Gymnasium, Mitarbeiter der Thyssen-Gießerei, die die Platte gegossen hatten, sowie Kunststudenten der Duisburger Universität, die den Entwurf geliefert hatten".

Aus dem Schüler-Projekt ging 1986 eine Dokumentation, herausgegeben von Erich Hannoschöck, Annelie Klother, Stephan Kühn und Jörg-Peter Nilles, hervor, die viel gelesen wurde. Dort wurden nicht nur schriftliche Zeugnisse ausgewertet, sondern auch die Aussagen von Zeit- und Augenzeugen wiedergegeben. Die Häftlinge stammten aus Russland, Polen, der Ukraine, der Tschechei, Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland. Unter ihnen waren zahlreiche politische Häftlinge und auch Zeugen Jehovas. Die Häftlinge wurden für "kriegswichtige Aufgaben", darunter auch die Aufräumarbeiten nach Bombenangriffen und die Bergung von Blindgängern, herangezogen. Als billige Arbeitskräfte waren sie begehrt.

Die Häftlinge, an ihrer "Zebra"-Sträflingskleidung für jedermann erkennbar, waren den bewaffneten SS-Wärtern ausgeliefert. Quälerei und Schikanen waren an der Tagesordnung. Ein Augenzeuge hatte beobachtet, wie ein jüngerer Gefangener vom Dach in den Tod gestürzt wurde. In den Dokumenten fand man Vermerke wie "auf der Flucht erschossen". Die KZ-Häftlinge waren bei den Aufräumarbeiten und der Bergung von Blindgängern stets der Gefahr ausgesetzt, Opfer einer noch nicht entschärften Bombe zu werden. Aber nicht nur das: In ihren Bretterbaracken waren die Häftlinge Bombenangriffen schutzlos ausgeliefert. In der Nacht vom 26. auf den 27. April 1943 wurde das Konzentrationslager in Meiderich durch Spreng- und Brandbomben vollständig zerstört. In dem SS-Bericht bleibt unklar, ob 30 oder 60 Häftlinge tot geborgen wurden. Das Leben eines KZ-Häftlings zählte für die Wachmannschaft, die nur einen einzigen Verletzten aus ihren Reihen auflistet, nicht.

Es gibt nur ganz wenige Aufnahmen von KZ-Häftlingen beim Arbeitseinsatz. Vom KZ Ratingsee selber gibt es offenbar keine Fotografien. Allerdings fand Kai Gottlob bei den Recherchen für seinen dokumentarischen Film "Duisburg fünfundvierzig/ sechsundsechzig" eine kurze unscharfe Sequenz, die das KZ von Ferne zeigt, gefilmt aus einem fahrenden Zug.

Wie viele KZ-Häftlinge in Ratingsee zwischen Oktober 1942 und Frühjahr 1945 starben, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Von der SS-Wachmannschaft wurde nach dem Krieg niemand bestraft.

(RP)
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