Interview: Rp-Serie Bedeutende Duisburger Demokraten Ein großer Amtsträger zwischen den Fronten

Duisburg · Dr. Karl Jarres war von 1914 bis 1933 Oberbürgermeister in Duisburg. Nicht nur seine Amtszeit war außergewöhnlich.

Karl Jarres wurde 1874 in eine Kaufmannsfamilie in Remscheid geboren. Die Studienorte (Jura) - London und Paris, Bonn, Berlin und schließlich wieder Bonn - sind ebenso ein Hinweis auf die gutsituierte Herkunft wie auf eine recht unübliche Weltläufigkeit.

Jarres gehörte zu den bismarcktreuen Nationalliberalen im Kaiserreich und zum rechten Flügel der DVP in der Weimarer Republik. Nach dem Staatsexamen erfolgte der Eintritt in die Kommunalverwaltung, zunächst als Assessor in Düren (1901). Das war der Beginn einer steilen Karriere: Zwei Jahre später war er bereits Beigeordneter in Düren; 1906 Beigeordneter in Köln; 1910 Bürgermeister in Remscheid. Ein weiteres Jahr später wurde er zum Oberbürgermeister ernannt. Noch 1914 wurde er Oberbürgermeister in Duisburg - für das preußische Dreiklassenwahlrecht und die Industriestadt brachte er ideale Voraussetzungen mit: evangelisch, promovierter Jurist, großbürgerlicher Herkunft.

Als Duisburger Oberbürgermeister gehörte er dem Preußischen Herrenhaus an. In der Republik war er Vorsitzender des Rheinischen Provinziallandtags, Mitglied im Preußischen Staatsrat und bekleidete Ämter im Deutschen Städtetag - er war einer der "Großen Rheinischen Oberbürgermeister". Der Erste Weltkrieg forderte den Verwaltungsmann enorm; offenbar konnte er sich hier bewähren und großes Ansehen erwerben. Es gelang ihm auch, ein gutes Verhältnis zum wichtigsten politischen Kontrahenten, dem Zentrum, herzustellen. Die Revolutionstage 1918/19 überstand er im Amt und wurde trotz des veränderten Wahlrechts bis zur letzten freien Kommunalwahl 1930 wiedergewählt. Der Kapp-Putsch freilich zeigt die schwierige Position Jarres' zwischen den Fronten: Zwar blieb er loyal gegenüber der Reichsregierung und verweigerte sich den Putschisten; aber er weigerte sich, die eher Putschisten-freundliche Bürgerwehr aufzulösen. Gegen den Versuch von USPD und KPD, deren Waffen gewaltsam einzuziehen, ließ er Polizei und Einwohnerwehr mit der Waffe vorgehen.

Einen Höhepunkt in Jarres' Karriere verursachte die Ruhrgebietsbesetzung durch französische und belgische Truppen. Sein Protest brachte ihm zwei Monate Gefängnis durch ein belgisches Militärgericht, die Amtsenthebung und die Ausweisung aus dem besetzten Gebiet ein. In der Zeit seiner Amtsenthebung als Oberbürgermeister wurde er Reichsinnenminister und Vizekanzler in den Regierungen Stresemann und Marx. Nach dem Tod des Reichspräsidenten Ebert war sein Ansehen "rechts der Mitte" so groß, dass er Kandidat in der Präsidentenwahl wurde. Er erreichte mit fast 39 Prozent die relative Mehrheit, die aber nicht zur Wahl genügte. Im zweiten Wahlgang überließ er Hindenburg die Kandidatur.

Demgegenüber fallen die historischen Darstellungen von Jarres' kommunalpolitischen Leistungen ungerechtfertigt dürftig aus: So vermeldet die "Rheinische Geschichte" lapidar nur: "Seine größten kommunalpolitischen Leistungen waren die Wirtschaftsförderung und die Einrichtung beispielgebender sozialer Einrichtungen. Daneben förderte der Bildungsbürger Jarres das kulturelle Leben." Dazu gehörte die Theater-Zusammenarbeit mit Bochum. In seine Amtszeit fielen aber auch der Bau des Wedaustadions und der Regattabahn.

Die Nationalsozialisten waren ihm "unheimlich". Im Mai 1933 wurde er aus dem Amt gedrängt. Dank seiner guten Beziehungen in die rheinische Wirtschaft, nicht zuletzt zu Peter Klöckner, war er danach in verschiedenen Aufsichtsräten tätig, wobei er seine Kontakte auch zugunsten jüdischer Mitbürger nutzte.

Am Kriegsende war Karl Jarres fast 71 Jahre alt. Er fertigte auf Aufforderung der britischen Besatzungsmacht zwar eine Denkschrift zum Wiederaufbau an, kehrte aber nicht wieder in die Politik zurück. 1951 starb er in Duisburg. 1966 erhielt er ein Ehrengrab auf dem Duisburger Waldfriedhof. Nach ihm wurde eine wichtige innerstädtische Verbindungsstraße benannt.

Dr. Günther Neumann, der Autor dieses Artikels, ist Sprecher der Regionalen Arbeitsgruppe Rhein-Ruhr West der Vereinigung "Gegen Vergessen - Für Demokratie".

(RP)
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