Duisburg Ein Kloster mitten in der Stadt

Duisburg · Dr. Philipp Reichling, Pater in der Abtei Hamborn, stellt hier seine Heimat als spirituelle Kulturtankstelle vor. Das Kloster ist keineswegs weltabgeschieden, aber dennoch dient es als "zeitenthobener" Kontrastort. Das Chorgebet unterbricht regelmäßig den Tagesablauf.

Was früher einmal typisch für die klassischen Klöster war, weltabgeschieden zu sein, ist heute in sein Gegenteil verkehrt als ein Kloster mitten in der Stadt: die Abtei Hamborn, eine der 52 spirituellen Kulturtankstellen des Bistums Essen.

Hektik abstreifen

Die unmittelbar benachbarten Gebäude spiegeln etwas von der enormen Entwicklung wider, die diese Region weit über Duisburg-Hamborn hinaus durch die Industrialisierung in den zurückliegenden 130 Jahren geprägt hat, ein großes Krankenhaus und eine Schule: Krankenversorgung und Bildung für die rasch angewachsene Bevölkerung. Viele Besucher der Kranken oder auch des bischöflichen Gymnasiums sind ganz überrascht, wenn sie den Kreuzgang zwischen der alten Kirche und dem neu errichteten Klosterbau betreten, denn es kommt einem so vor, als ob man den Lärm und die Hektik der Außenwelt hier abstreifen könnte.

Der modernen Industriekultur widersteht die Zeitlosigkeit der romanischen Architektur, so dass man sich der Zeit und dem Stress des Alltags und der Arbeit enthoben fühlt und Weltabgeschiedenheit doch noch erfahren werden kann. Ein spielerisch und symbolisch gestalteter Brunnen im Kreuzganginnenhof unterstreicht die Beschaulichkeit dieses Kontrastortes noch in besonderer Weise. Die kaum auffallenden Grabsteine, die sich hier ebenfalls befinden, machen auf unaufdringliche Weise klar, dass dieser Ort der Abgeschiedenheit und Stille auch Begräbnisstätte ist und damit die Zeitenthobenheit noch viel umfassender zu verstehen ist.

Sich der Verstorbenen zu erinnern heißt sie in Gedanken gegenwärtig zu halten und auf ein Leben nach dem Tod zu hoffen — dafür stehen jedenfalls die vielfältigen christlichen Symbole auf den Steinen. Dreimal am Tag kreuzen hier die Klosterbewohner, die Chorherren, den Weg, um in die Abteikirche zu gelangen. Ihre Bezeichnung verrät bereits einen wichtigen Teil ihrer Tätigkeit: das gemeinsame Gebet im Chorraum der Kirche. Zu festgesetzten Zeiten wird der Tagesablauf unterbrochen zum Chorgebet, so dass wie ein endloser Reigen Psalmen, Hymnen und Lieder zum Lobe Gottes erklingen.

Auch das ist Kontrast, denn was könnte man in dieser Zeit alles sonst an wichtigen Dingen dieser Welt erledigen? Was hier aber geschieht, ist wie eine Wache, die daran erinnert, dass es noch Wichtigeres gibt als Arbeit, Geld, Erfolg. Manchmal nehmen ein paar Leute, die zufällig aus dem pulsierenden Leben heraus den Weg in den Kreuzgang gefunden haben, an den Gebetszeiten teil und betreten den lichtdurchfluteten Raum der täglich geöffneten Abteikirche. Nicht selten durchschreiten sie die Kirche vorbei an einem romanischen Taufbrunnen und barocken Tafelbildern und entzünden vor einer über 500 Jahre alten Skulptur der Anna Selbdritt, also einer Familiendarstellung von Jesus, seiner Mutter Maria und deren Mutter, Anna, ein paar Kerzen.

Aufgetankt

Auch wenn die Besucher, besser die Beter, längst wieder in den städtischen Alltag mit der Hektik und dem Lärm zurückgekehrt sind, brennt doch ihre Kerze noch, stellvertretend für sie selbst und ihre Anliegen.

Aufgetankt haben werden sie sicherlich etwas im Kontrast dieser spirituellen Kulturtankstelle.

Pater Philipp koordiniert in Duisburg für die "Stiftung Brennender Dornbusch" das Veranstaltungsprogramm in der Liebfrauenkirche. Außerdem ist er für die katholische Kirche Beauftragter für die Kulturhauptstadtprojekte im Bistum Essen.

(RP)
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