Innovationen aus Duisburg Ein Stahlwerk wird zum Vorbild für die Industriekultur

Duisburg · Nicht immer ist es eine technische Errungenschaft, die eine Innovation zu etwas besonderem machen. Das Stahl- und Walzwerk Beeckerwerth konnte bei seiner Errichtung 1962 zwar mit technischen Bestwerten glänzen, die eigentliche Innovation war jedoch die Planung, die einer Ästhetik vorgreift, die heute Industriedenkmäler wie etwa das Weltkulturerbe Zeche Zollverein bestimmen.

 Die erste Mannschaft, die in Beeckerwerth an den Start ging.

Die erste Mannschaft, die in Beeckerwerth an den Start ging.

Foto: tks

Zum Stahlwerk Beeckerwerth und seinem Konstrukteur existieren beeindruckende Geschichten und Daten. Als Alfred Michel (1898-1976) 1950 bei der August-Thyssen-Hütte AG in Duisburg begann, produzierte das Unternehmen 400.000 Tonnen Rohstahl im Jahr. Die Demontagetrupps der alliierten Streitkräfte hatten die Werkgelände noch nicht verlassen. Die Folgen des Zweiten Weltkriegs waren deutlich zu spüren. 15 Jahre später lag der Produktionsertrag bei 4,5 Millionen Tonnen Stahl.

Michel war auf den ersten Blick ein Vollblutingenieur. Der Bau einer Trinkwasserleitung in seiner schwäbischen Heimat hatte in Michels Kindertagen die Liebe zur Technik entfacht. Seine Ausbildung führte ihn ins Ruhrgebiet, wo er in Gelsenkirchen und Duisburg-Meiderich für seine Doktorarbeit im Fach Ingenieurswesen forschte. Nach einer Station in der Schweiz kam Michel nach dem Ende des Krieges zurück in seine Wahlheimat am Niederrhein.

Dort stellte ihm die Führung des Unternehmens Thyssen vier Milliarden Mark zum Bau des Stahl- und Walzwerks Beeckerwerth zur Verfügung. Doch statt übermäßig bauen zu lassen, ordnet Michel an, überflüssige Bauteile wegzulassen. Für Alfred Michel sollte die neue Industrieanlage nicht eine "in Ruß und Staub gehüllte Fabrik" sein, sondern eine ansprechende Architektur haben. Das Werk habe sich in die Landschaft einzufügen und für die Angestellten angenehme Arbeitsplätze zu bieten, das sind seine Visionen. Michel blickt jedoch nicht nur auf die Anlage, die 1962 eröffnet werden soll, sondern auch auf bestehende Gelände. Auf den Werksgeländen in Hamborn und Bruckhausen lässt Michel überflüssige Mauern einreißen, Bäume pflanzen und Rasenflächen anlegen. Trotz der Lärm- und Staubbelastungen sollen die Anlagen wenigstens teilweise erträglich wirken.

Michels Vision von der ästhetisch ansprechenden Fabrik liest sich wie eine mehr als 50 Jahre alte Umschreibung für Industriekultur und Industriedenkmäler. Nach dem Ende ihrer Betriebsdauer wurden im Ruhrgebiet zahlreiche Industriestandorte zurückgebaut, durch Grünflächen ergänzt und zu Landmarken und Ausflugszielen. Eines der besten Beispiele für diese Umgestaltung ist der Landschaftspark Nord in Duisburg-Meiderich. Der Park liegt genau dort, wo Michel in den 1960er Jahren die ersten Mauern einreißen ließ.

(ac)
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