Duisburg Eine neue Familie auf Zeit

Duisburg · Claudia Schmalenbach nimmt Schüler aus anderen Ländern bei sich Zuhause auf. Die Organisation AFS, bei der sie selbst als Koordinatorin arbeitet, vermittelt Schüler. Gasteltern werden dringend gesucht.

 Gut gelaunt: Die Amerikanerin Nora und die Belgierin Laura (vorne, von links), gemeinsam mit Kira vom Komitee sowie Tanita und Claudia Schmalenbach auf der Treppe.

Gut gelaunt: Die Amerikanerin Nora und die Belgierin Laura (vorne, von links), gemeinsam mit Kira vom Komitee sowie Tanita und Claudia Schmalenbach auf der Treppe.

Foto: Andreas Probst

Andere Länder, andere Sitten, heißt es im Volksmund. Stimmt. Oder etwa doch nicht? Dass Vorurteile - seien sie negativer oder positiver Natur - nicht immer der Wahrheit entsprechen, weiß Claudia Schmalenbach mittlerweile sehr genau. Denn sie holt sich die verschiedenen Kulturen nach Hause, wie sie sagt. Die Duisburgerin nimmt Austauschschüler bei sich auf.

"Ich dachte mir damals, wenn jemand mein Kind aufnimmt, dann machen wir das auch mal", sagt sie. Ihr Kind, das ist die 25-jährige Tanita, die 2007/2008 zum ersten Mal an einem Austausch nach Brasilien teilgenommen hat. Seitdem nimmt ihr Familien auch immer wieder Schüler aus anderen Ländern bei sich auf. Aus Japan beispielsweise. "Wir waren total vorbereitet. Aber dann kam sie und wir haben gemerkt, dass sie so gar nicht japanisch war, wie man sich das eben vorstellt", sagt Schmalenbach und lacht. Ein anderes Beispiel sei einer Bekannten passiert. Die Familie habe sich entschieden, eine Austauschschülerin aus Lateinamerika zu nehmen. Mit der Erwartung, dass das Mädchen ein bisschen Leben ins Haus ihrer Gasteltern bringt, zog sie bei ihnen ein. Schmalenbach: "Es hat sich herausgestellt, dass es zwar ein ganz liebes Mädchen war, aber alles andere als feurig." So viel zum Thema Vorurteile.

Jeder sei anders - egal was man den Menschen seiner Heimat so nachsage - und das sei auch gut so. Denn die Besonderheit dieses Menschen kennenzulernen, mache den Austausch so spannend. Tanita: "Ich habe mir immer gewünscht, Geschwister zu haben. Über den Austausch bekomme ich wenigstens Geschwister auf Zeit."

Wenn ihre Familie Schüler aufnimmt, wohnen sie mit in Tanitas Zimmer und verbringen auch sonst viel Zeit mit ihr und den übrigen Familienangehörigen. Zehn Monate dauert ein Austausch normalerweise. Von Anfang September bis Anfang Juli oder von Ende Februar bis Mitte Januar. Vermittelt werden die Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren über eine Agentur, wie etwa der gemeinnützigen Organisation "AFS - Interkulturelle Begegnungen".

Aus vielen verschiedenen Profilen kann man sich einen Gastschüler aussuchen. "Dann nimmt man Kontakt auf und schaut, ob es passt", sagt Schmalenbach. In Zeiten von Skype und Co. sei das unkompliziert und viel persönlicher, als nur über das Telefon.

Laura, die belgische Schülerin, die zuletzt bei den Schmalenbachs zu Gast war, habe vor ihrem Aufenthalt noch fleißig Deutsch gelernt. Die meisten Austauschschüler kämen, um eine andere Sprache zu lernen. "Man kann sich auch schlecht davor drücken, schließlich verbringt man einige Zeit in dem anderen Land und geht auch dort zur Schule." Dass sich die Jugendlichen hauptsächlich mit Landsleuten aufhalten, ist nicht Sinn der Sache. "Der Alltag sollte aussehen wie immer", sagt Schmalenbach. Natürlich sei es am Anfang etwas zeitaufwendiger - das neue Familienmitglied muss schließlich erst mal die Gepflogenheiten der Familie auf Zeit kennenlernen.

Essen, Kultur, Tagesablauf - alles ist zunächst anders als gewohnt. "Die Schüler kommen ja, um in eine fremde Kultur einzutauchen", sagt Schmalenbach. Auf der anderen Seite geht es aber auch darum, seine eigene Kultur ganz bewusst zu erleben. Tanita: "Vor zwei Jahren hatten wir an Weihnachten mal keine Austauschschülerin. Da dachte ich nur: ,Ist das langweilig, keinen interessiert das, was wir hier machen'." Sie sagt, durch fremde Kulturen reflektiere man die eigene viel mehr und wisse auch die eigene Familie ganz anders zu schätzen.

Dass alles anders ist, heißt aber auch, dass in den meisten Fällen das Heimweh nicht ausbleibt. Austauschschülerin Laura: "Die ersten zwei Wochen war alles so aufregend, dass man nicht dazu kam, Heimweh zu haben."

Aber irgendwann kommt dann doch eine ruhige Minute, in der die Sehnsucht nach der vertrauten Umgebung einschleicht. Im besten Fall dauert diese Phase nur kurz an, denn die Zeit, so wissen alle, die schon mal an einem Austausch teilgenommen haben, ist schneller vorbei, als erwartet.

Was bleibt, sind Kontakte in die ganze Welt. Kontakte, die wenn sie gepflegt werden, womöglich ein Leben lang bleiben.

Mehr Infos unter: www.afs.de im Internet.

(RP)
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