Loveparade-Prozess Genugtuung für die Angehörigen

Duisburg · Am 24. Juli 2010 starben auf der Loveparade in Duisburg 21 Menschen. Mindestens 652 wurden verletzt. Die Katastrophe soll nun doch in einem Strafprozess aufgearbeitet werden. Viele Angehörige hoffen, dadurch ein furchtbares Kapitel endlich abschließen zu können.

 Der Unglücksort wird seit Jahren regelmäßig zur Gedenkstätte - so wie hier bei der Nacht der 1000 Lichter im Juli 2015.

Der Unglücksort wird seit Jahren regelmäßig zur Gedenkstätte - so wie hier bei der Nacht der 1000 Lichter im Juli 2015.

Foto: Christoph Reichwein

Manfred Reißaus muss sich erst einmal sammeln, als seine Frau Anja ihm am Montagmorgen erzählt, dass die Katastrophe auf der Loveparade in Duisburg doch noch strafrechtlich vor Gericht aufgearbeitet wird. "Ich bin fest davon ausgegangen, dass es zu keinem Strafprozess mehr kommt", sagt der 54-Jährige, der bei dem Technofestival am 24. Juli 2010 seine 22-jährige Tochter Svenja verlor. "Ich hatte mich damit abgefunden, dass niemand für ihren Tod zur Rechenschaft gezogen wird. Dass es nun anders kommt, trifft mich wie ein Paukenschlag — im positiven Sinne."

Für ihn und die Hinterbliebenen der 21 Todesopfer, den mehr als 600 Verletzten sowie den bis heute Traumatisierten ist es eine späte Genugtuung, dass es zum Strafprozess kommen wird. Sie wünschen sich, dass ihnen endlich jemand sagt, wieso ihre Kinder, Enkelkinder, Verwandte und Freunde sterben mussten — und wer dafür die Verantwortung zu tragen hat.

Reißaus, der die Hinterbliebenen-Stiftung "Duisburg 24.7.2010" gegründet hat, hofft, durch einen Strafprozess seinen "inneren Frieden" wieder finden zu können. Er weiß aber, dass es kein einfaches Verfahren werden wird. "Die juristische Aufarbeitung wird langwierig. Ich wünsche mir, dass auch die Polizei und das Land NRW bestraft werden. Denn die sind für mich auch verantwortlich für die Katastrophe", betont er. Doch Vertreter von Land und Polizei sitzen nicht auf der Anklagebank — bislang jedenfalls, meint Reißaus. Das werde sich ändern, ist er sicher. "Ich habe selbst von Polizisten gehört, dass sie vor Gericht als Zeugen aussagen wollen. Und ihre Aussagen werden ein anderes Licht auf den Polizeieinsatz werfen", meint der 54-Jährige.

Auch für den Düsseldorfer Opferanwalt Julius Reiter, der die Interessen vieler Betroffener vertritt, ist es ein Fehler, dass sich niemand von der Polizei unter den Angeklagten befindet. Als Sachverständiger übt er deshalb massive Kritik an Innenminister Ralf Jäger (SPD). "Er hat sich nach der Loveparade-Katastrophe sofort vor die Polizei gestellt und dadurch eine Aufarbeitung versäumt", so Reiter. "Der Untersuchungsausschuss zur Silvesternacht hat gezeigt, dass es Parallelen zum Loveparade-Einsatz gab." So habe es bei beiden Ereignissen eine mangelhafte Kommunikation bei den Polizisten gegeben. Auch seien zu wenige Beamte eingesetzt und deshalb überfordert und ohne Handlungsstrategie gewesen, betont der Jurist.

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), mit dem Reiter seine Kanzlei in Düsseldorf betreibt, forderte einen Untersuchungsausschuss. "Die Verantwortlichkeit kann nicht allein auf das Strafverfahren reduziert werden", sagte Baum. Es habe ein "erhebliches Organisationsverschulden der zuständigen Behörden“ gegeben. "Dies kann und muss in der neuen Legislaturperiode durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden", sagte Baum.

Duisburg: So sieht das ehemalige Güterbahnhofgelände aus
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Foto: Christoph Reichwein

Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf, Anne-José Paulsen, bat die Opfer und deren Angehörige am Montag um Verständnis, dass die strafrechtliche Aufarbeitung so lange dauere. Sie wisse, dass das schwer belastend und teilweise schwer nachvollziehbar sei. "Gleichwohl bitte ich Sie um Verständnis für die nicht immer sofort einleuchtenden Entscheidungen und Abläufe in der Justiz", sagte Paulsen. Der Justiz bleibt bis zum 27. Juli 2020 Zeit, ein Urteil zu fällen. Ansonsten tritt zehn Jahre, nachdem das 21. Opfer starb, die Verjährung ein.

Für Manfred Reißaus ist es immer noch unbegreiflich, was am 24. Juli vor sieben Jahren passiert ist. Seine Tochter Svenja, die Jura studiert hat, wollte damals eigentlich gar nicht zur Loveparade nach Duisburg fahren, sich stattdessen auf eine Klausur vorbereiten. Nur ihrem Ex-Freund zuliebe ging sie doch mit und kam ums Leben. Mit seiner Frau fährt Reißaus sehr häufig an den Ort, an dem seine Tochter starb.

Der Zugang zum damaligen Loveparade-Gelände inmitten eines Tunnels, wo Svenja und die meisten der anderen Opfer ihre tödlichen Verletzungen erlitten, ist heute eine Gedenkstätte. Blumen, Kerzen und Bilder der Opfer sind dort aufgestellt. "Man kann es nicht in Worte fassen, wie furchtbar es ist, sein Kind auf so eine schreckliche Weise zu verlieren", sagt er.

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