Duisburg Hoffen auf den "Franziskus-Effekt"

Duisburg · Die Gemeinden im Stadtgebiet verlieren immer mehr Mitglieder. Der evangelische Pfarrer Rainer Kaspers und der katholische Stadtdechant Bernhard Lücking befürchten die Schließung von weiteren Kirchen und Gemeindezentren.

Rainer Kaspers hat Sorgen. Der Pfarrer der evangelischen Auferstehungsgemeinde-Süd sieht sich mit einem großen Problem konfrontiert: Seine Gemeinde verliert in besorgniserregendem Umfang Mitglieder. Seit 2009 haben etwa 300 seiner Schäfchen die Gemeinde verlassen, allein in diesem Jahr gab es schon 53 Austritte - für den engagierten Pfarrer eine Katastrophe: "Das tut weh", sagt er. "Auch mir ganz persönlich. Jeder Christ, der sich unabhängig von der Konfession von der Kirche abwendet, schwächt die Gemeinschaft."

Dass der starke Mitgliederrückgang im Süden der Stadt nicht mit Einzelpersonen oder gemeindespezifischen Gegebenheiten zu tun hat, wird anhand der Zahlen des Evangelischen Kirchenkreises Duisburg deutlich. Die 15 Gemeinden haben allein im vergangenen Jahr 689 Austritte verkraften müssen. Dem stehen 688 Eintritte gegenüber, allerdings verteilt auf fünf Jahre. Der Kirchenkreis ist seit 2009 um insgesamt 6000 auf rund 73 000 Gemeindeangehörige geschrumpft. Nach Auskünften der Stadt leben in Duisburg nur noch 260 000 Christen. 220 000 Bürger sind konfessionslos oder gehören anderen Glaubensrichtungen an. Wie schwierig diese Entwicklung für die Gemeindearbeit ist, verdeutlicht Kaspers an einem einfachen Rechenbeispiel: "Als Kirchengemeinde vor Ort erhalten wir aus dem Kirchensteuertopf eine Pro-Kopf-Zuweisung in Höhe von 70 Euro, mit der wir unseren Haushalt gestalten können. 300 Mitglieder weniger bedeuten also 21000 Euro, die uns fehlen." Das setze die gewählten Presbyter unter Druck. "Es schmerzt, Kirchen abzureißen und Gemeindezentren zu verkaufen", sagt er. "Am Ende bleibt uns aber keine andere Wahl. Ich befürchte, es wird auch noch zu weiteren Einschnitten kommen."

Pfarrer Kaspers sieht vor allem im demografischen Wandel und in den Kirchenskandalen der vergangenen Jahre Gründe für den Substanzverlust der Gemeinden. Außerdem kritisiert er die aus seiner Sicht "extrem schlechte Öffentlichkeitsarbeit" der Landeskirche. Sie habe es in den vergangenen Monaten versäumt, auf das neue automatisierte Abrechnungssystem der Kirchensteuer auf Kapitalerträge hinzuweisen. "Da die Informationen der Banken zum Thema nur undurchsichtig waren, blieb am Ende der Eindruck: Die Kirche will wieder mehr Geld. Aber das stimmt nicht." Kaspers ist überzeugt: "Diese Geiz-ist-geil-Mentalität und die Tendenz zur Entsolidarisierung sind in der Gesellschaft mittlerweile tief verankert." Stadtdechant Bernhard Lücking sieht eine ähnliche Entwicklung auch auf katholischer Seite. Nach den jüngsten statistischen Zahlen sind von Januar bis Juni 508 katholische Christen aus der Kirche ausgetreten.

Im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres waren es 321. Und schon im vergangenen Jahr war diese Kirchenaustrittswelle viel höher als sonst. Während im vergangenen Jahr der Limburger Bauskandal als Grund für die hohen Austrittszahlen betrachtet wurde, ist es in diesem Jahr - wie auch bei den evangelischen Christen - das neue Steuerverfahren.

Aber das ist nach Lückings Überzeugung nur ein Anlass. Der tiefere Grund, weshalb sich Menschen von der Kirche abwenden, sei die zunehmende Kirchenferne. Viele Kinder fänden in ihren Eltern keine religiösen Vorbilder mehr.

Die Zahl der kirchlichen Hochzeiten und auch die der Beerdigungen mit kirchlichem Beistand gehe zurück. Lücking schließt ebenfalls nicht aus, dass wegen der Kirchenaustritte die Angebote der Kirchen zurückgefahren werden. Auch weitere Kirchenschließung seien wahrscheinlich.

(RP)
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