Duisburg In den Ruinen der Menschheit

Duisburg · Der Dirigent René Jacobs und der Filmkünstler Julian Rosefeldt beleuchteten bei der Ruhrtriennale in der ganz gefüllten Kraftzentrale im Landschaftspark Nord das beliebte Oratorium "Die Schöpfung" von Joseph Haydn neu.

Beliebt ist das Oratorium "Die Schöpfung", das Joseph Haydn von 1796 bis 1798 komponierte, auf einen Text von Gottfried van Swieten, dieser wiederum nach dem Epos "Paradise Lost" von John Milton. In den ersten beiden Teilen wird die Erschaffung der Welt in verschiedenen Bildern dargestellt, die von pittoresker Naturschilderung bestimmt sind. Sie boten Haydn vielfältige Möglichkeiten zur allgemein verständlichen Umsetzung des Textes mit Hilfe von "Tonmalereien". Ein Beispiel bietet der berühmte Sonnenaufgang in dem Accompagnato-Rezitativ "In vollem Glanze", der durch aufsteigende Bewegung der Stimmen und ein auskomponiertes Crescendo verdeutlicht wird. Innernhalb von nur sechs Takten entfaltet sich aus einem einzigen, pianissimo gespielten Ton in Violine und Flöte ein strahlender D-Dur-Akkord des ganzen Orchesters - ein unmittelbar ansprechender, grandioser Effekt. Den dritten Teil der "Schöpfung" bestimmt dann die ethische Dimension, durch den Auftritt von Adam und Eva. Der Sündenfall wird aber erst im letzten Rezitativ behutsam angedeutet: "O glückliches Paar, und glücklich immerfort, / Wenn falscher Wahn euch nicht verführt / Noch mehr zu wünschen, als ihr habt, / Und mehr zu wissen, als ihr sollt!"

Die Ruhrtrennale brachte jetzt Haydns "Schöpfung" in die ganz gefüllte Kraftzentrale im Landschaftspark Nord. Mit den etwas kehlig klingenden, aber immer treffsicheren Solisten Sophie Karthäuser (Sopran), Maximilian Schmitt (Tenor) und Johannes Weisser (Bass) sowie den renommierten belgischen Originalklang-Ensembles "Collegium Vocale Gent" und "B'Rock Orchestra" schuf der Dirigent René Jacobs eine stilsichere, zeitgemäße, zügige und jederzeit natürlich atmende Aufführung. Der Abend war aber mehr als ein Konzert von Weltklasse. Denn auf eine riesige Leinwand, die fast die ganze Breite der monumentalen Kraftzentrale einnahm, wurde dazu der für diesen Anlass geschaffene neueste Film von Julian Rosefeldt projiziert. Er zeigt mit der Drohnenkamera die Ruinen der Menschheit - offenbar wurde die Schöpfung nicht bewahrt und es gab eine globale Katastrophe. Ab und zu kommen die Menschen, die in ihren Schutzanzügen wie weiße Ameisen wirken, auf Besuch.

Hart kontrastieren die blühenden Landschaften des Textes mit den Sand- und Steinwüsten der Bilder. Gefilmt wurde in Marokko, vor allem in zerfallenden Kulissen von Sandalenfilmen, und für den dritten Teil in der Industriearchitektur des Ruhrgebiets, auch nebenan im Landschaftspark Nord. Die ästhetische Brücke zwischen der Wüste und dem Revier bildet ein Braunkohletagebau (Garzweiler).

Der Film lud dazu ein, Haydns Musik als Hoffnungs-Schimmer zu hören, für die Welt nach dem Zeitalter des Menschen. Im Schlusschor wurden die utopischen Begriffe wie Würde, Hoheit, Stärke, Schönheit, Mut und Weisheit schließlich von Duisburger Chorsängern im Publikum noch verstärkt. Am Ende gab es kurze, aber kräftige Zustimmung.

INGO HODDICK

(hod)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort