Duisburg Jugendclub "Spieltrieb": Tschechow und der deutsche Schlager

Duisburg · "Wie gern säße ich jetzt in Moskau", steht auf der Werbepostkarte des Jugendclubs "Spieltrieb" für die neue Schauspielproduktion, die jetzt im ausverkauften FOYER III des Duisburger Theaters Premiere hatte. Denn Moskau ist der Ort der Sehnsüchte der "Drei Schwestern" in Anton Tschechows 1901 uraufgeführtem gleichnamigem Drama. "Nach Moskau! Nach Moskau! Nach Moskau!", ruft Irina als jüngste Schwester am Ende des zweiten Aktes voller Verzweiflung. Der Ort an dem sie sich mit ihren beiden Schwestern Olga, der ältesten, und Mascha, der mittleren, aufhält, ist die Provinz. Und dort herrscht alles andere als heile Welt.

 Sehenswert: Die Interpretation des Jugendclubs "Spieltrieb" von Tschechows "Drei Schwestern" wartet mit einigen Überraschungen auf.

Sehenswert: Die Interpretation des Jugendclubs "Spieltrieb" von Tschechows "Drei Schwestern" wartet mit einigen Überraschungen auf.

Foto: Sascha Kreklau

Tschechow zeigt eine Suche nach dem Sinn des Lebens und das vergebliche Streben nach Glück: Die drei Schwestern und ihr Bruder Andrej leben in einer namenlosen russischen Garnisonstadt. Sie alle haben große Erwartungen an das Leben, die sie mit einem Umzug nach Moskau verbinden, denn dort sind sie aufgewachsen. Irina sucht das Glück in verschiedenen Berufen, Mascha in einer außerehelichen Liebe, Olga macht als Lehrerin Karriere. Glücklich werden sie trotzdem nicht, und keine von ihnen kommt nach Moskau.

Michael Steindl, der Schauspiel-Intendant des Theaters und Gründer des Jugendclubs, hat das teils als "Endzeitstück" interpretierte Werk Tschechows nicht nur inszeniert, sondern ihm auch seine eigene Fassung gegeben. "Ich wollte, dass das Publikum von heute mehr davon hat, als nur ein Porträt einer Gesellschaft zu erleben, die bewegungslos geworden ist", erzählt er. Deshalb habe er aus den sieben geläufigsten Übersetzungen vom Russischen ins Deutsche, darunter auch die von Peter Urban und Thomas Brasch, ein Konglomerat aus allen Übersetzungen gemacht. Hinzu hat er passend zu Figuren oder Situationen der Handlung deutsche Schlager von Peggy March ("Mit 17 hat man noch Träume), Roy Black ("Ganz in Weiß"), Tony Marshall ("Heute hau'n wir auf die Pauke") bis Reinhard Mey ("Gute Nacht, Freunde") textlich eingearbeitet und bringt sie in der Inszenierung zu Gehör.

Mit diesem dramaturgischen Regieeinfall kontrastiert er den verharrenden unproduktiven Warte-Zustand der drei Geschwister mit der Illusion und dem Vorgaukeln einer scheinbar heilen Welt der Zukunft. Dass dieser Zustand nicht nur individuell bleibt, sondern auch auf die Gesellschaft zutrifft, lösen Steindl und seine Ausstatterin Anja Müller in der Weise, dass die gesamte Tiefe des FOYER III mit verschiedenen Sitzgruppen und einem langen Eßtisch versehen als Bühne dient. Auf dieser sitzen bzw. verharren alle von Steindl auf zehn Figuren eingestrichene Handlungspersonen das ganze Spiel über. Ihnen gegenüber sitzt das Tribünenpublikum - nachdenklich bis erheitert und keineswegs gelangweilt. Steindls Regieintention ist eine Ensembleproduktion. Von daher wäre eine herausgehobene Nennung einzelner Darsteller nicht im Sinne der von ihm propagierten Jugendclub-Arbeit und deshalb kontraproduktiv - auch wenn er beispielsweise der Figur des Lehrers Fjodor Iljitsch Kulygin, zugleich Maschas Gatte, als gehörntem Ehemann, viel "Sprach- und Spielfutter" angedeihen lässt.

Vorstellungen am 10., 17., 22. und 29. September, jeweils 20 Uhr. Karteninfo unter Telefon 0203 28362100. Karten zwölf Euro, ermäßigt sieben Euro.

(RP)
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