Duisburg Lässt Gottes vollkommene Welt sich verbessern?

Duisburg · Um nichts weniger als das jahrtausendealte Problem der Theodizee geht es in dem Roman "Kraft" von Jonas Lüscher.

 Jonas Lüscher stellte seinen sprachmächtigen Roman vor.

Jonas Lüscher stellte seinen sprachmächtigen Roman vor.

Foto: StADT

Richard Kraft, Rhetorikprofessor in Tübingen, unglücklich verheiratet und finanziell gebeutelt, hat womöglich einen Ausweg aus seiner Misere gefunden. Er wird zur Teilnahme an einer wissenschaftlichen Preisfrage ins Silicon Valley eingeladen: "Wenn die Welt schon vollkommen ist, wie können wir sie dann noch verbessern?"

Ursprünglich ging es darum, wie Gott das Leid in der Welt zulassen kann, wenn er doch allmächtig ist. In unserer säkularen Welt sei die Theodizee aber eigentlich eine Technodizee, erklärte der 1976 in der Schweiz geborene Lüscher jetzt bei seiner Lesung aus "Kraft" für den Verein für Literatur in der Zentralbibliothek. So wie im Zeitalter der Aufklärung Leibniz glaubte, wir lebten in der "besten aller Welten" und der Kollege Voltaire mit seinem satirischen Roman "Candide" konterte, ist auch Lüschers kraftloser Held eine Candide-Figur. Im vierten Kapitel scheitert er kläglich am Versuch, mit einem Ruderboot die Natur zu beherrschen - in Sichtweite des technologischen Zentrums der Welt.

Dies ist auch ein dreifacher Campusroman, spielt in West-Berlin (wo Kraft an der Freien Universität studierte), in Tübingen und an der Stanford University in Palo Alto, Kalifornien, der Keimzelle des Silicon Valley. Lüscher verbrachte selbst 2012/13 mit einem Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds neun Monate als Visiting Researcher am Comparative Literature Department in Stanford. Ihn als "pessimistischen Alteuropäer" hat die Mentalität im Valley ziemlich irritiert: "Die leben da in einer Blase und lösen Probleme, welche die Welt nicht hat. Sie selbst halten sich aber für die Speerspitze der Menschheit."

Genial auch die zweite Szene aus dem Roman, die der Autor in Duisburg las, nämlich das konstruktive Misstrauensvotum im Bundestag am 1. Oktober 1982, mit dem laut Lüscher nicht nur Bundeskanzler Helmut Schmidt durch Helmut Kohl ersetzt wurde, sondern auch "der Sozialliberalismus durch den Marktliberalismus, wie in vielen Ländern." Als Endpunkt dieser Entwicklung sieht er "das marktradikale Silicon Valley".

"Kraft" ist ein sprachmächtiger, tiefgründiger und auch humorvoller Roman. Er besticht durch einen vielleicht typisch schweizerischen, sanften Sarkasmus, der sich in bedächtig gedrechselten Sätzen artikuliert. Eine Lesung aus einem Roman, der immerhin auf der diesjährigen Longlist zum Deutschen Buchpreis stand, hätte mehr Besucher verdient gehabt. Das wird sicher anders bei der nächsten Lesung am Freitag, 1. Dezember, um 20 Uhr, von Volker Kutscher aus seinem im Köln der Nazizeit spielenden Edel-Krimi "Lunapark". Karten kosten sechs Euro, im Vorverkauf fünf Euro. Mitglieder des Vereins für Literatur haben freien Eintritt.

(hod)
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