Rp-Serie Duisburger Geschichte Und Geschichten Letzte "Strickjagd" vor 200 Jahren

Duisburg · Nur der Herzog von Berg besaß einst das Recht, über die Wildpferde in den Wäldern zwischen Duisburg, Mülheim und Düsseldorf frei zu verfügen. Unerlaubter Wildpferdefang wurde mit sechs Monaten Kerkerhaft bestraft.

 Pferde-Denkmal am Stallmannshof in der Saarnberg-Siedlung. Es erinnert auch heute noch an die bis Anfang des 19. Jahrhunderts hier in den Wäldern lebende Wildpferde.

Pferde-Denkmal am Stallmannshof in der Saarnberg-Siedlung. Es erinnert auch heute noch an die bis Anfang des 19. Jahrhunderts hier in den Wäldern lebende Wildpferde.

Foto: Harald Küst

Am 8. Juli 1644 erschienen vor Sonnenaufgang 50 bewaffnete Männer, die vom Ratinger Gerichtsboten begleitet waren, vor dem Hause des Wildfängers zu Broich. Die Anklage lautete auf unerlaubten Wildpferdefang. Der Beschuldigte wurde gefesselt und nach Angermund verbracht. Die Burganlage war Sitz des bergischen Amtmanns und die nördlichste Bastion der Grafen von Berg. Dort wurde der Wildfänger in die Kerkergrube herabgelassen, die etwa sieben Meter in der Tiefe lag.

Wie kam es dazu? Dazu muss man wissen, dass nur der Herzog von Berg das Recht besaß, über die Wildpferde in den Wäldern zwischen Duisburg, Mülheim und Düsseldorf frei zu verfügen. Herrschaft, Macht und Recht waren eng mit Waldbesitz verbunden. In den ausgedehnten Waldgebieten zwischen Duisburg, Mülheim und Düsseldorf tummelten sich damals hunderte Wildpferde.

Neben dem Herzog stand den Besitzern der Rittergüter zu Heltorf, Linnep, Böckum, Winkelhausen, Landsberg, dem Graf zu Broich und den Stiftsherren in Kaiserswerth und in Saarn ein kleiner Anteil von zwölf Wildpferden zu.

In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges versuchte vor allem der einflussreiche Graf zu Broich seine Befugnisse zu erweitern. Ihn scherte die erforderliche hoheitliche Genehmigung zur Pferdejagd wenig. Er engagierte einen eigenen Wildfänger, der sich rasch an der Duisburg-Mülheimer Grenze mit dem Aufenthaltsort der Pferde vertraut machte.

Der Wildfänger erhielt - vermutlich über einem Mittelsmann - den Auftrag, einem ausgewählten Wildpferd ein Broicher Brandzeichen zu verpassen. Brandzeichen dienten sozusagen als QR-Code des 17. Jahrhunderts zur Identifizierung der Wildpferde beim jährlichen Fang. Das Einfangen der Pferde sollte durch Einzeljagd erfolgen, die man auch Strickjagd nannte.

Soweit der Plan. Der Wildfänger machte sich an die Arbeit. Er bediente sich dabei einer besonderen Technik. Er bestieg ein für diesen Zweck gezimmertes Gerüst oder einen gut positionierten Baum. Gehilfen und Tagelöhner näherten sich von weitem der Pferdegruppe und trieben sie ohne einen Laut von sich zu geben auf den Standort des Wildfängers zu.

Dem zum Fang ausgewählten Pferd warf der Wildfänger vom Gerüst aus einen Lasso ähnlichen Strick über den Hals, der mit einem Holzklotz beschwert war. Das Tier erschrak, sprengte davon und zog sich durch den Klotz selbst den Fangstrick um seinen Hals zu. Das Pferd blieb bald darauf erschöpft stehen und sackte zu Boden, als es keine Luft mehr bekam.

Dann eilten die Helfer herbei und legten ihm einen Halfter um den Hals und klemmten mit einer Prame (Holz- oder Eisenklammer) schmerzhaft die Nüstern des Tieres zu, um es gefügig zu machen. Tierschutz war damals noch weitgehend unbekannt. Dann führten sie das Tier in den Stall des Grafen zu Broich. Der wiederum hielt sich weiter diskret im Hintergrund und genoss klammheimlich den Zuwachs seiner Herde.

Als der Wildgraf des Herzogs von Berg von der Eigenmächtigkeit des Broicher Grafen erfuhr, drohte er ihm mit einer Anzeige bei seinem Herzog. Er bestand darauf, dass er die Genehmigung zum Einfangen von Wildpferden einzuholen habe. Der Broicher Graf schien davon wenig beeindruckt. Sein Broicher Wildfänger machte trotz aller Warnungen unverdrossen weiter.

Darauf folgten drastische Maßnahmen. Der Broicher Wildfänger wurde er von Beauftragten des bergischen Amtmanns gefangengenommen und in den Schlossturm zu Angermund bei Wasser und Brot gesperrt. Hier sollte der Gefangene schmachten. Spinnen und Mäuse waren ständige, ekelige Begleiter des Eingelochten.

Mehr als ein halbes Jahr lang musste der uneinsichtige Wildfänger für seine Schuld büßen. Nach 27 Wochen Gefängnisaufenthalt erschien der bergische Gerichtsschreiber und verlangte von dem Übeltäter 25 Goldgulden Strafe und die volle Erstattung der Haftkosten. Da der Broicher Wildfänger allerdings über kein Bargeld verfügte, trug er seine Strafgelder durch seine Kuh ab, die er dem Amtmann zum Pfand gab.

Zerknirscht unterschrieb er eine Erklärung, dass er niemals mehr Wildpferde im Gestüt des Herzogs von Berg einfangen werde, wenn er nicht zuvor in Angermund die Genehmigung des Herzogs von Berg durch den Amtmann von Angermund eingeholt habe.

Wildpferde gibt es in unseren Wäldern zwar nicht mehr, aber sehr wohl den Schuldausgleich, Abschreckung und Strafzumessung bleiben weiter aktuell - nicht nur bei Juristen.

Gut 200 Jahre ist es her, dass im Wald zwischen Mülheim, Duisburg und Düsseldorf die letzten Wildpferde eingefangen wurden, bei der die Duisburger Bürger 700 Treiber stellen mussten. Der Ausschank von Schnaps während der Jagd war streng verboten, "....weil sich die Untertanen derart berauschten, dass sie oft niederlagen und zum Jagen der Pferde nicht fähig waren", so die Begründung des gräflichen Verbots.

Am Ende der Jagd wurden insgesamt 256 eingefangene Wildpferde gezählt. Nicht auszuschließen, dass die letzten erjagten Pferde 1815 noch einmal auf Seiten der Alliierten bei der Schlacht von Waterloo zum Einsatz kamen.

Quelle: Hans Homann, Heimatkalender 1967

(RP)
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