Verhandlung in Düsseldorf Darum geht es beim Loveparade-Prozess

Düsseldorf · Der Loveparade-Prozess dürfte einer der umfangreichsten Strafprozesse der Nachkriegszeit werden. Zehn Mitarbeiter der Stadt Duisburg und des Veranstalters sind angeklagt. Der damalige Oberbürgermeister Adolf Sauerland aber nicht. Fragen und Antworten dazu.

Loveparade 2010 in Duisburg: Die Katastrophe
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Loveparade 2010: Die Katastrophe

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  • Worum geht es beim Prozess?

Nach Einschätzung der Ankläger war die Loveparade 2010 in Duisburg völlig falsch geplant und hätte niemals genehmigt werden dürfen: Das schmale Ein- und Ausgangsareal des eingezäunten Geländes am alten Duisburger Güterbahnhof sei viel zu eng für die hunderttausenden Raver gewesen. Dies hätten die Angeklagten erkennen müssen.

  1. Wer ist angeklagt?

Wegen des tödlichen Gedränges am Ein- und Ausgangsbereich des Duisburger Loveparade-Veranstaltungsgeländes müssen sich zehn Angeklagte verantworten - sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier des Loveparade-Veranstalters, die von insgesamt rund 30 Anwälten verteidigt werden. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten fahrlässige Tötung beziehungsweise fahrlässige Körperverletzung vor. Höchststrafe wären fünf Jahre Haft.

Der damalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland und der Geschäftsführer der Veranstalterfirma Lopavent Rainer Schaller sitzen dagegen nicht auf der Anklagebank. Viele Menschen machen sie für die Loveparade-Katastrophe mitverantwortlich. Aber laut Staatsanwaltschaft gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Sauerland und Schaller direkt Einfluss auf die Planung oder die Erteilung von Genehmigungen hatten. Sie gehören jedoch zu den Zeugen, die die Staatsanwaltschaft im Prozess anhören will.

  1. Wer sind die Opfer?

Bei dem Loveparade-Unglück wurden in einem Gedränge 21 Menschen erdrückt. Sie waren im Alter zwischen 17 und 38 Jahren. 15 kamen aus Deutschland, sechs aus anderen Ländern: jeweils ein Todesopfer stammte aus Australien, den Niederlanden, Italien und China, zwei waren aus Spanien. Mindestens 652 Loveparade-Besucher wurden damals verletzt. Viele von ihnen leiden bis heute körperlich und seelisch unter den Folgen. Rund 60 Betroffene der Katastrophe sind in dem Verfahren als Nebenkläger zugelassen. Sie werden von etwa 40 Anwälten vertreten.

  1. Warum beginnt der Loveparade-Prozess so spät?

Zunächst wegen der aufwendigen Ermittlungen - erst im Februar 2014 legte die Staatsanwaltschaft ihre Anklage gegen die zehn Beschuldigten vor. Diese Anklage lehnte das Duisburger Landgericht aber im April 2016 ab. Dagegen legten Staatsanwaltschaft und Nebenkläger Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf ein. Mit Erfolg: Im vergangenen April entschied das OLG, dass die Hauptverhandlung eröffnet werden muss.

  1. Warum findet der Prozess in Düsseldorf statt?

Die Vielzahl der Verfahrensbeteiligten macht das Loveparade-Verfahren zu einem der personell größten Strafprozesse der Nachkriegsgeschichte. Da das Landgericht Duisburg nicht über einen ausreichend großen Verhandlungssaal verfügt, findet die Hauptverhandlung in einer eigens angemieteten Halle der Düsseldorfer Messe mit über 500 Sitzplätzen statt.

  1. Wer leitet den Prozess

Mario Plein. Der 46-Jährige ist Vorsitzender Richter am Landgericht Duisburg. Er stammt aus Mülheim an der Ruhr und ist seit 2002 Richter am Landgericht Duisburg, seit 2011 Vorsitzender Richter. Seit November 2013 hat er den Vorsitz einer großen Strafkammer. Regelmäßig hat er seitdem unter anderem Schwurgerichtssachen verhandelt. Auf breites öffentliches Interesse stieß 2014 ein von ihm geleiteter Prozess gegen einen früheren Chef der Rockergruppe "Satudarah" unter anderem wegen Drogenhandels und der Einfuhr von Kriegswaffen. Insgesamt ist die 6. Große Strafkammer mit drei Richtern und zwei Schöffen besetzt. Falls jemand ausfallen sollte, stehen drei Ergänzungsrichter und fünf Ergänzungsschöffen zur Verfügung.

  1. Warum droht eine Verjährung?

Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten unter anderem fahrlässige Tötung vor. Nach fünf Jahren sind solche Taten verjährt - wenn nicht vorher ein Beschuldigter vernommen worden ist. Dann beginnt die Verjährung von Neuem. Deshalb sind die Taten in diesem Fall - die Loveparade-Katastrophe war 2010 - noch nicht verjährt.

Jedoch setzt das Strafgesetzbuch (StGB § 78c) eine Obergrenze: Die Verfolgung einer Straftat verjährt spätestens, wenn ein Zeitraum verstrichen ist, der dem Doppelten der gesetzlich festgelegten Verjährungsfrist entspricht. Die sogenannte absolute Verjährung tritt also im Fall der Loveparade nach zehn Jahren ein - sollte es bis dahin kein erstes Urteil geben.

Der Zeitraum des Tatbestandes beginnt mit einer Verletzung oder dem Tod eines Opfers. "Das letzte Opfer der Ereignisse bei der Loveparade verstarb am 28. Juli 2010, die absolute Verjährungsfrist läuft daher spätestens mit Ablauf des 27. Juli 2020 ab", erklärt die Staatsanwaltschaft Duisburg. Sollte das Landgericht vorher ein Urteil sprechen, läuft die Verjährungsfrist nicht mehr ab, bevor das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist (StGB § 78b).

  1. Wie endeten vergleichbare Prozesse?

Der Ausgang solcher Strafverfahren ist immer ungewiss - und die juristische Aufarbeitung nach nach schweren Unglücken dauert oft Jahre. Einige Beispiele.

  1. Düsseldorfer Flughafenbrand Das von Pannen überschattete Verfahren wurde nach knapp zwei Jahren im Oktober 2001 eingestellt - wegen geringer Schuld der Angeklagten. Damals sagte Richter des Düsseldorfer Landgerichts, dass die "schrecklichen Folgen" des Brands nicht den Blick dafür verstellen dürften, dass jedem Angeklagten eine persönliche Schuld nachgewiesen werden müsse. Dies sei jedoch in dem Strafprozess "trotz der erheblichen Dauer und der Vielzahl erhobener Beweise" nicht möglich gewesen. Beim Düsseldorfer Flughafenbrand 1996 starben 17 Menschen.
  2. Transrapid 2006 sterben auf einer Teststrecke im Emsland 23 Menschen, weil zwei Fahrdienstleiter einen Werkstattwagen vergessen hatten. Das Landgericht Osnabrück verurteilt die Männer 2011 zu Haftstrafen auf Bewährung. Zwei Betriebsleiter werden schon 2008 zu hohen Geldstrafen verurteilt.
  3. Eissporthalle Unter der Last der Schneemassen stürzt 2006 eine Eissporthalle im oberbayrischen Bad Reichenhall ein. 15 Menschen kommen ums Leben. Das Landgericht Traunstein verurteilt den Konstrukteur des Dachs 2008 zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung.
  4. Flugzeugkollision Eine russische Passagiermaschine und eine Fracht-Boeing kollidieren 2002 bei Überlingen am Bodensee. Alle 71 Insassen sterben. Drei Mitarbeiter der Schweizer Flugsicherung Skyguide werden im selben Jahr wegen fahrlässiger Tötung zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt, ein vierter zu einer Geldstrafe.
  5. ICE-Unglück Mehrere Waggons eines ICE prallen 1998 gegen eine Straßenbrücke, weil ein Radreifen gebrochen war. Bei dem schwersten Zugunglück in der Geschichte der Bundesrepublik sterben 101 Menschen. Ein Verfahren gegen drei verantwortliche Ingenieure stellt das Lüneburger Landgericht fünf Jahre später ein, da sie aus Sicht der Richter keine schwere Schuld trifft.
  6. Was wurde aus der Loveparade?

Die erste Loveparade fand 1989 in Berlin statt - sie war eine Art kleines Straßenfest. DJ Dr. Motte (Matthias Roeingh) gründete die Raver-Parade, die im ersten Jahr 150 Technofans unter dem Motto "Friede, Freude, Eierkuchen" auf dem Kurfürstendamm tanzen lässt. Fünf Jahre nach dem Start feierten bereits 120.000 Raver um 40 Musik-Trucks herum. 1999 zählten die Veranstalter 1,5 Millionen Besucher.

Mangels Sponsoren fiel die Loveparade 2004 und 2005 aus - bis der Fitnessstudio-Unternehmer Rainer Schaller ("McFit") mit seinem Unternehmen Lopavent einsprang und die Rechte erwarb. In Berlin fanden die Veranstalter aber mit dem Senat keinen Konsens mehr und wanderten ins Ruhrgebiet ab, wo sie in Essen (2007) und Dortmund (2008) wiederum viele Besucher anlockte. Bochum verzichtete ein Jahr später aus Platz- und Sicherheitsgründen auf die Veranstaltung. Nach der Katastrophe in Duisburg im Jahr 2010 kündigt Schaller an, es werde keine "Loveparade" mehr geben.

(wer)
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