Duisburg Loveparade-Katastrophe: Die Vorwürfe der Anklage

Duisburg · Vier Jahre nach der tödlichen Massenpanik auf der Technoparade mit 21 Toten in Duisburg gibt es immer noch kein Gerichtsverfahren. Eine Anwältin aus Bochum will am Freitag 30 neue Zivilklagen beim Duisburger Langericht einreichen. Erstmals soll auch das Land NRW belangt werden.

Loveparade-Unglück 2010 - Bilder der Zugangsrampe
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Die Zugangsrampe - der Unglücksort

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Überlebende berichteten von einer gewaltigen Welle, die plötzlich über sie hereinbrach, von allen Seiten drückte und alles und jeden mit sich riss und zu Boden presste. Wer von ihr erfasst wurde, dem blieb die Luft weg. Viele wurden ohnmächtig. Betroffene schilderten später, wie sie an der Unglücksstelle in einem zwei Meter hohen Berg aus Menschen verkeilt waren. 21 Menschen kamen am 24. Juli 2010 bei der Loveparade in Duisburg infolge einer Massenpanik ums Leben, mindestens 652 wurden verletzt, Tausende sind bis heute traumatisiert.

Loveparade-Gedenkstätte fertiggestellt
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Loveparade-Gedenkstätte fertiggestellt

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Foto: dpa, Federico Gambarini

In der kommenden Woche jährt sich die Katastrophe zum vierten Mal. Noch immer will niemand dafür verantwortlich gewesen sein. Nicht der Veranstalter, Lopavent-Chef Rainer Schaller, nicht die Polizei, die den Besucherstrom weder stoppen noch eindämmen konnte, und schon gar nicht die Stadt Duisburg und deren damaliger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU), der die Loveparade als Prestigeobjekt für seine Stadt unbedingt haben wollte.

Den Weg in die Katastrophe hat die Staatsanwaltschaft Duisburg in der Anklageschrift auf 660 Seiten zusammengefasst. Sie liegt seit Februar dieses Jahres beim Landgericht Duisburg, das bis Herbst über eine Zulassung der Anklage entscheiden will. In dieser Akte steht drin, was aus Sicht der Staatsanwaltschaft genau bei der Loveparade alles schiefgelaufen ist.

Die zehn Angeschuldigten 1. Der ehemalige Beigeordnete der Stadt Duisburg D. 2. Leiterin des Bauamtes G. 3. Abteilungsleiter Amt für Baurecht Dü. 4. Sachgebietsleiter Amt für Baurecht J. 5. Technischer Sachbearbeiter Amt für Baurecht G. 6. ebenfalls technischer Sachbearbeiter im Amt für Baurecht B. 7. Veranstaltungskaufmann S. 8. Facharbeiter für Starkstrom und Beleuchtungsmeister Sa. 9. Sicherheitsdienstleister W. 10. Projektmanager S. (die letzten vier arbeiteten für den Veranstalter).

Staatsanwaltschaft über Anklage in Loveparade-Unglück
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Staatsanwaltschaft über Anklage in Loveparade-Unglück

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Vorwurf Die zehn Angeschuldigten sollen fahrlässig den Tod von 21 Menschen herbeigeführt und durch Fahrlässigkeit körperliche Misshandlung und gesundheitliche Schädigung bei 18 Personen verursacht haben. Die Staatsanwaltschaft legt ihnen pflichtverletzendes und fehlerhaftes Verhalten zur Last.

Die städtischen Angeschuldigten J., G. und B. sollen am 23. Juli 2010, also erst am Tag vor der Loveparade, die baulichen Anlagen zur Durchführung der Großveranstaltung genehmigt haben. Laut Ermittlungen hätte diese Genehmigung jedoch nie erteilt werden dürfen, da sie gegen elementare Sicherheitsauflagen verstoßen hätten wie etwa gegen die Bauordnung des Landes NRW. Unter anderem deswegen sei die Genehmigung rechtswidrig gewesen. J., G. und B. hätten die gravierenden Planungsfehler erkennen müssen. Ihnen wird vorgeworfen, ihre Pflicht verletzt und nicht sorgfältig geprüft zu haben. D., G. und Dü. waren die Vorgesetzten der drei oben genannten. Sie sollen ihre Aufsichtspflicht gegenüber ihren drei angeschuldigten Untergebenen verletzt haben. G. und Dü. sollen zahlreiche Erkenntnisse vorliegen gehabt haben, dass es für die zu erwartenden Besucherströme in den Planungen nicht gelöste Sicherheitsrisiken gäbe. Trotzdem hätten sie keine weitere Überprüfung veranlasst. D. soll zur Last gelegt werden, dass er sich bewusst aus allem rausgehalten haben soll. Er soll sich nicht über Einzelheiten des Genehmigungsverfahrens informiert haben, obwohl genau das zu seinen Aufgaben gehört hätte. Hätten D., G. und Dü. die Planungen sorgfältig geprüft, so heißt es aus Ermittlerkreisen, hätten ihnen die Mängel auffallen müssen mit der Folge, dass die Veranstaltung in der Form nicht hätte genehmigt werden dürfen.

Angeschuldigte Veranstalter S., Sa., S. und W. sollen zentrale Sicherheitsauflagen am Veranstaltungstag nicht umgesetzt haben. Unter anderem hätten sie nicht die Stolperstellen und Zäune (siehe Grafik) auf dem Veranstaltungsgelände weggeräumt, die laut Ermittlungen unter anderem zu der Massenpanik geführt haben sollen. In diesem Zusammenhang sollen auch die städtischen Angeschuldigten J., G. und B. ihre Pflicht verletzt haben, weil sie am Veranstaltungstag nicht anwesend waren, obwohl das laut Gesetz notwendig gewesen sein soll.

30 neue Anklagen Die Bochumer Anwältin Bärbel Schönhof will am Freitag 30 Zivilklagen beim Duibsurger Langericht einreichen. Erstmals will sie das Land Nordrhein-Westfalen als Verantwortlichen für die Polizei zur Verantwortung ziehen. Laut eines Berichts der WAZ sagte Schönhof, die Polizei hätte erkennen müssen, dass die Loveparade gefährlich schlecht organisiert war und hätte die Veranstaltung absagen oder abbrechen müssen. 300.000 Euro fordert Schönhof für jeden ihrer 30 Mandanten, davon sind 50.000 bis 80.000 Euro Schmerzensgeld enthalten.

Schlussfolgerung Die Ermittlungsbehörde soll zu dem Schluss gelangt sein, dass es auf der Loveparade am 24. Juli 2010 in Duisburg wegen des oben genannten Fehlverhaltens zwischen 16.30 und 17.15 Uhr zur Massenpanik mit Tausenden Menschen im Eingangsbereich (Rampe) zum Loveparade-Gelände gekommen sei. Darüber hinaus bestehe kein Grund, Ermittlungen gegen weitere Personen einzuleiten. Dies beträfe insbesondere den ehemaligen Oberbürgermeister Adolf Sauerland und Lopavent-Chef Rainer Schaller.

Am Donnerstag, 24. Juli, jährt sich die Loveparade-Katastrophe zum vierten Mal. Mit verschiedenen Veranstaltungen wird dann wie in den Vorjahren der Opfer gedacht. Wir geben hier einen Überblick.

(RP)
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