Düsseldorf/Duisburg Loveparade: Opfer-Anwälte empört

Düsseldorf/Duisburg · Laut eines Gesprächsvermerks soll die NRW-Landesregierung in Sachen Loveparade mit einer Anklage "gegen einen Polizisten" rechnen und einen "Einmalbetrag" an die Axa-Versicherung zahlen wollen. Das Innenministerium streitet ab. Anwalt Gerhart Baum sieht einen "Bruch der Rechtskultur".

Juli 2011: Angehörige gedenken Opfer der Loveparade
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Die Anwälte von mehr als 70 Opfern der Loveparade, der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum und Julius Reiter, fürchten, dass die NRW-Landesregierung hinter dem Rücken der Opfer geheime Absprachen mit dem Axa-Versicherungskonzern trifft. "Die offenkundige Neigung der Versicherung, Einigungen unter Umgehung der Opferanwälte zu treffen, stellt einen Bruch der Rechtskultur dar", so Baum. "Wer die Anwälte ausschalten will, hat mit den Opfern nichts Gutes im Sinn", sagt Reiter.

Das Tauziehen um die Entschädigung der Opfer hält seit Monaten an. Laut einem Gesprächsvermerk, der der Rheinischen Post vorliegt, geht die Axa davon aus, dass das Land sich im Fall des Falles an der Entschädigung der Opfer beteiligt. Als wesentliche Gesprächsinhalte eines Treffens mit dem NRW-Innenministerium, das offenbar Anfang August stattfand, notierte ein Axa-Mitarbeiter unter anderem: "Das Land rechnet mit einer Anklageerhebung gegen zumindest auch einen Polizisten." Und: "Das Land beteiligt sich für den Fall einer Anklageerhebung des oder eines Polizisten mit einem noch zu verhandelnden Einmalbetrag." Das Land würde dann eine Vereinbarung "nur mit uns schließen und nicht mit der Stadt (aus politischen Gründen)".

Gemeint ist die Stadt Duisburg. Mit ihr hatte die Axa sich bereits auf eine Entschädigungspraxis geeinigt — ohne die Opfer und ihre Anwälte einzubeziehen. Am 28. Juli stellte der FDP-Landtagsabgeordnete Horst Engel dazu eine Anfrage an die Landesregierung. Entschädigungs-Empfänger sollen laut Engel unterschreiben, dass sie auf alle weiteren Ansprüche verzichten. Während der Abgeordnete Engel weiter auf eine Antwort der Landesregierung wartet, war seine Anfrage ebenfalls Gegenstand des Gesprächs zwischen Vertretern der Axa-Versicherung und dem Innenministerium.

Der Gesprächsnotiz zufolge bot Axa einem Abteilungsleiter des Innenministeriums sogar Einblick in die Vereinbarung zwischen der Stadt Duisburg und der Versicherung an. Das habe der zwar nicht gedurft, habe die Möglichkeit aber als "wohlwollend von uns" verstanden. In Bezug auf die Anfrage von Engel habe der Abteilungsleiter laut Vermerk "der Ministerpräsidentin und dem Minister Jäger gegenüber kommuniziert", dass die Entschädigungs-Praxis "professionell und üblich" sei.

Weder das Innenministerium noch Axa äußern sich zum Inhalt des Vermerks, bestätigen aber, man sei ständig im Gespräch. "Wir sind bemüht, in dieser Frage eine große Gemeinschaft zusammenzubringen. Wir wollen in erster Linie helfen, und die Zahlungen finden ja bereits statt", so Axa-Sprecher Ingo Koch auf Anfrage. Das Innenministerium bestreitet, von der Verurteilung eines Polizisten auszugehen: "Wir gehen davon aus, dass wir nicht schadensersatzpflichtig sind und es nicht zu einer Verurteilung kommt", so Ministeriumssprecher Wolfgang Beus.

Außerdem habe das Land bereits 1,5 Millionen Euro über einen Hilfsfonds zur Verfügung gestellt, aus dem bereits Zahlungen geleistet würden. Ein vom NRW-Justizministerium unter Verschluss gehaltener Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft Duisburg kommt im Gegensatz zur Auffassung des Innenministeriums zu dem Ergebnis, dass die Polizei ursächlich an der Katastrophe beteiligt war und führt einen Leitenden Polizeidirektor aus Duisburg als Beschuldigten auf.

Im Mai wandte sich Gerhart Baum an Ministerpräsidentin Hannelore Kraft mit der Bitte, das Land möge sich unabhängig der strafrechtlichen Würdigung klar zu seiner Mitverantwortung bekennen. Vorschlag Baums: eine Stiftung, in der die Opfer ein wesentliches Mitspracherecht erhalten. Gleichzeitig stellte der frühere Bundesinnenminister klar: "Eine Regelung ohne Beteiligung der Anwälte der Opfer würde zur Befriedung nicht beitragen." Vor vier Wochen habe Krafts Staatskanzlei geantwortet, man habe den Vorgang an das Innenministerium weitergegeben — von dort werde Baum eine Antwort erhalten.

Laut des Gesprächsvermerks erwartet sich die Versicherung vom Innenministerium für ihren Außenauftritt eine hilfreiche Haltung gegenüber den Opferanwälten und ihrer Stiftungsidee. Dagegen betont Axa-Sprecher Ingo Koch, kein Opfer müsse einen Verzicht unterschreiben, wenn Spätfolgen noch gar nicht absehbar seien: "Wir wären ja völlig verrückt, die Leute in so eine Situation zu manövrieren. Das gehört sich nicht."

(RP)
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