Loveparade in Duisburg Staatsanwalt: Katastrophe am Unglückstag nicht mehr zu verhindern

Duisburg · Die Staatsanwaltschaft will nach der Loveparade-Katastrophe zehn Mitarbeiter des Veranstalters und der Stadt vor Gericht stellen. Sie wirft ihnen unter anderem fahrlässige Tötung vor, wie Behördenleiter Horst Bien am Mittwoch in Duisburg sagte. Bereits bei den Planungen für das Techno-Fest seien gravierende Fehler gemacht worden, die zum tödlichen Ausgang der Loveparade geführt hätten.

Der Leitende Oberstaatsanwalt Bien betonte: "Wir haben nicht nach politischer oder moralischer Schuld gesucht, sondern nur nach der strafrechtlich relevanten Schuld." Er gab zuvor auch noch ein sehr persönliches Statement ab: "Am 24. Juli ist etwas geschehen, was nicht hätte passieren dürfen... Den Angehörigen, Opfern und Verbliebenen gehört heute wie damals unser Andenken." Und: "Hinter allem steht die Frage: Wie konnte es soweit kommen?".

Bei der Loveparade vor mehr als dreieinhalb Jahren war eine Massenpanik ausgebrochen, bei der 19 junge Menschen erdrückt oder zu Tode getrampelt wurden. Zwei weitere starben später im Krankenhaus. Mehr als 500 wurden verletzt.

Den Ermittlungen zufolge sind vor allem die fehlerhaften Planungen im Vorfeld des Techno-Festes Ursache für die Katastrophe gewesen: Demnach waren die Zu- und Abgänge zum Gelände, die sogenannte Rampe, für solche Menschenmengen ungeeignet. Die Planer der Veranstalter hätten erkennen müssen, dass das Sicherheitssystem versagen und lebensgefährliche Situationen entstehen würden, sagte Staatsanwalt Bien. Die sechs Mitarbeiter der Stadtverwaltung hätten wegen erkennbarer Undurchführbarkeit des Konzepts keine Genehmigung erteilen dürfen. Sie sollen zudem das Genehmigungsverfahren nicht ausreichend beaufsichtigt haben.

Zäune verengten Rampe weiter

"Wir gehen davon aus, dass die drohende Gefahr am Veranstaltungstag erst erkennbar geworden ist, als es nicht mehr möglich war, verhindernde Maßnahmen so ergreifen", so Bien. Das habe das Gutachten des des Forschers Keith Still erklärt. Es wird deshalb keine Anklage gegen die Polizei oder weitere Mitarbeiter geben, die am Tag der Veranstaltung im Einsatz bei der Loveparade waren.

Als das Gedränge bei der Loveparade an der Rampe immer größer wurde, hatten die Einsatzkräfte versucht, durch Polizeiketten im Tunnel und das Schließen der Zäune die Massen zu stoppen. Das seien grundsätzlich geeignete Maßnahmen gewesen, um einen Menschenandrang zu mindern, so der Staatsanwalt. Zu diesem Zeitpunkt hätten die Beteiligten nicht erkennen können, das sich eine Katastrophe anbahnt. Allerdings sorgten die Zäune für eine weitere Verengung der Rampe. Die jetzt angeklagten Personen hätten jedoch dafür sorgen müssen, dass diese Zäune nicht aufgebaut werden - und das auch am Tag der Loveparade kontrollieren müssen. Wer genau diese Zäune aufgestellt hatte, konnte die Staatsanwaltschaft am Mittwoch nicht beantworten. Vor Beginn der Veranstaltung hat der Leiter des Bauamtes einen Rundgang über das Veranstaltungsgelände gemacht und Mängel erkannt. Die Zäune waren jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu bemängeln gewesen.

Alle Angeklagten haben die Anschuldigungen laut Staatsanwaltschaft bestritten. Vom Veranstalter Lopavent müssen sich der Technische Leiter des Projektes Loveparade, der Produktionsleiter, der Gesamtleiter und der Verantwortliche für die Sicherheit vor Gericht verantworten. Von der Stadt sind drei leitende Mitarbeiter des Bauamtes, das die Genehmigung erteilt hat, angeklagt. Außerdem der Abteilungsleiter der für das Prüfungsteam zuständig war, die Amtsleiterin der Stadtentwicklung und der damaligen Beigeordnete der Stadt für die Stadtentwicklung. Diese drei leitenden Bediensteten hätten das Prüfingsteam besser überwachen müssen, so die Anklagebhörde.

Schaller und Sauerland sind Zeugen

Gegen sechs weitere Beschuldigte ist das Verfahren laut Bien eingestellt worden, da die Ermittlungen "keinen hinreichenden Tatverdacht ergeben" hätten, sagte Bien. Nicht angeklagt werden zudem der damalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland sowie der Geschäftsführer der Veranstalterfirma Lopavent, Rainer Schaller. Beide sind jedoch als Zeugen benannt.

Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor betont, dass kein Grund bestehe, Ermittlungen gegen die beiden einzuleiten. "Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie selbst Einfluss auf die fehlerhafte Planung oder die Erteilung der rechtswidrigen Genehmigung genommen haben. Sie durften auch darauf vertrauen, dass die für die Planung und Genehmigung Verantwortlichen das Vorhaben aufgrund ihrer Fachkenntnisse ordnungsgemäß prüfen würden", hieß es in einer Mitteilung.

Oberbürgermeister sieht wichtigen Schritt zur Aufarbeitung

Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) wandte sich um 12.30 Uhr mit einer Stellungnahme an die Presse. Zur Anklageerhebung sagte er, dass sie "ein wichtiger Schritte zur Aufarbeitung" sei. Über die Opfer sagte Link: "Sie alle werden erst dann die Chance haben, die Ereignisse zu verarbeiten, wenn es eine juristische Aufarbeitung der Geschehnisse gegeben hat". Der Oberbürgermeister gab bekannt, dass gegen die sechs angeschuldigten Mitarbeiter der Stadtverwaltung ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde. Dieses werde jedoch bis zum Ende des Prozesses ausgesetzt. Dass der Name des Ordnungs- und Rechtsdezernent Wolfgang Rabe nicht auf der Liste der Angeschuldigten stehe, habe Sören Link zu akzeptieren. "Ich möchte aber daran erinnern, dass die Vergangenheit uns deutlich gezeigt hat, dass es bei diesem Thema eben nicht nur um strafrechtlich relevante Schuld geht, sondern auch um politische und moralische Verantwortung", erklärte Link. So blickte Link noch einmal auf die Abwahl des ehemaligen CDU-Oberbürgermeisters Adolf Sauerland zurück, die auf den Tag vor zwei Jahren stattfand. "Sie haben damals Verantwortung übernommen, weil jemand anderes sie nicht übernehmen konnte oder wollte", sagte er.

Wird die Anklage vom Landgericht zugelassen, wird das Hauptverfahren einer der größten Prozesse in der Nachkriegsgeschichte in NRW. Die Anklageschrift hat einen Umfang von 556 Seiten. Die Akten umfassen 76 Bände mit mehr als 37.000 Seiten. Anwaltlich vertreten sind bislang 135 Opfer, die 61 Anwälte beauftragt haben. Die zehn Angeklagten haben 12 Anwälte an ihrer Seite.

(RPO/dpa)
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