Duisburg Lust und Qual einer zur Macht Verurteilten

Duisburg · Das Schauspiel Essen zeigte im Duisburger Theater Schillers "Maria Stuart", kühn inszeniert von Anna Bergmann.

 In der Essener Inszenierung werden alle Register gezogen.

In der Essener Inszenierung werden alle Register gezogen.

Foto: Birgit Hupfeld

Friedrich Schillers Trauerspiel "Maria Stuart" gilt als das dramaturgisch gelungenste Stück des Klassikers. Die Anzahl der Inszenierungen geht längst in die Tausende. "Maria Stuart" gehört für viele Schüler zur Pflichtlektüre. All das macht es für Regisseure der Jetztzeit schwierig und reizvoll zugleich, den Stoff auf die Bühne zu bringen. "Vom Blatt" möchte heute niemand mehr "Maria Stuart" inszenieren. Doch ist die Zeit des hemmungslosen Regietheaters heute auch vorbei.

Für das Essener Schauspiel wählte Anna Bergmann gewissermaßen einen Mittelweg: Das Stück ist weiterhin gut erkennbar, zugleich gibt es Versuche einer pointierten Deutung für die Gegenwart. Als fruchtbar erweist sich der Ansatz, das Stück aus der Perspektive Elisabeth I. zu erzählen. Und das mit einer Wucht, die das Publikum zwei Stunden lang fesseln kann. Irritierend ist der Beginn: Elisabeth (Stepanie Schönfeld) liegt rücklings auf den Marmormauern ihres Palastes. Ihr rotes Haar baumelt herab. Und in dieser eher quälenden Pose lässt sie das Publikum an ihrem Dilemma teilhaben: Wie immer sie sich entscheidet; nie wird sie es richtig machen können. Lässt sie Maria Stuart frei, dann untergräbt sie ihre eigene Macht; gibt England der verhassten Schottin und Katholikin preis, die immerhin ihren Mann umbringen ließ, um den Mörder als Geliebten zu bekommen. Lässt sie Maria Stuart hinrichten, macht sie sich eines Königsmordes schuldig, was dem Peer-Gedanken widerspricht und außerdem auf sie selber zurückfallen könnte. Maria Stuart (überzeugend: Janina Sachau) sagt es ihr in Schillers genialer Treffsicherheit ins Gesicht: "Du kannst mich morden, aber nicht richten!".

In der Essener Inszenierung werden alle Register gezogen, um dieses Dilemma, diese Qual der Entscheidungsfindung, herauszuarbeiten. Mal erscheint Elisabeth als die Starke, die mit einem Fingerzeig die Grafen und Barone vor ihr auf die Knie sinken lässt, mal sieht man sie in ihrer Verletzlichkeit, die etwas Kindliches hat. Entsprechend lässt Anna Bergmann als Alter Ego der erwachsenen Elisabeth ein rothaariges Königskind stumm über die Bühne laufen.

Die Unmöglichkeit der politisch richtigen Entscheidung wird erschwert durch die sinnlichen Bedürfnisse Elisabeths, die sie grotesk auslebt: Graf Leicester, der ein doppeltes Spiel zu seinem eigenen Gunsten betreibt, befriedigt die masochistischen Gelüste seiner Herrscherin, in dem er ihr den Popo versohlt. Das drastische Bild macht die Lust und Qual einer zur Macht Verurteilten überdeutlich. Auch sonst arbeitet Anna Bergmann mit Gegensätzen: mit denen von Laut und Leise, gesprochenem Wort und eher schlecht als recht gesungenen Hymnen, frommen Wünschen und mörderischen Handlungen, historischen Kostümen und eleganter Alltagskleidung von heute, natürlich schönem Haar (bei Maria Stuart) und auswechselbaren Perücken (bei Elisabeth), heißen Gefühlen (bei Mortimer) und kaltem Kalkül (bei den meisten anderen).

Das Duisburger Publikum zeigte sich mehrheitlich begeistert von der Inszenierung. Ein Sonderbeifall verdient Philipp Noack, der trotz eines ausgekugelten linken Schultergelenks, das fixiert wurde, seinen Part als Mortimer glänzend spielte - einschließlich einer heftigen Fechtszene.

(pk)
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