Duisburg Parabel über Haben und Sein

Duisburg · Im Lehmbruck-Museum erklang Strawinskys "Geschichte vom Soldaten".

Vor 100 Jahren lebte der russische Komponist Igor Strawinsky in der französischsprachigen Westschweiz - zunächst, weil das milde Klima seiner kranken Frau helfen sollte, dann weil der Erste Weltkrieg und die Oktober-Revolution ihn von Russland und damit auch von seinen Einnahmen abschnitten. Der Schöpfer der berühmten Ballett-Trilogie aus "Feuervogel" (1910), "Petruschka" (1911) und "Le sacre du printemps" (1912) musste sich eine neue Existenz aufbauen. Zusammen mit dem Westschweizer Dichter Charles Ferdinand Ramuz schuf er ein revolutionäres Werk des Musiktheaters, die "Geschichte vom Soldaten" ("Histoire du soldat"). In seiner extremen Konzentration der Mittel übte es einen gewaltigen Einfluss aus: in Frankreich auf Georges Auric, Francis Poulenc, Arthur Honegger und Darius Milhaud, in Deutschland auf Paul Hindemith, Kurt Weill, Werner Egk und Karl Amadeus Hartmann sowie auf Bertolt Brechts Episches Theater, später auf Hans Werner Henze, Mauricio Kagel, und Karlheinz Stockhausen sowie Luciano Berio, György Ligeti und Henri Pousseur. Gerade in Deutschland wurde es früher oft aufgeführt, vor allem in den 1920er Jahren und dann wieder nach 1945.

Die Parabel erzählt - frei nach einem russischen Märchen - von der Tragik eines einfachen Mannes, der seine Geige (also Seele) an den Teufel verkauft und unermesslich reich, aber nie wieder glücklich wird. Die Musik verbindet archaische Elemente russischer Volksmusik mit Stereotypen westlicher Gebrauchsmusik wie Marsch, Walzer, Tango und Ragtime. Gesetzt ist sie für sieben Instrumente, sozusagen das Gerüst eines Sinfonieorchesters: Klarinette, Fagott, Kornett (das ist eine Art Trompete), Posaune, Schlagzeug, Violine und Kontrabass.

Gestern gastierten Mitglieder des WDR Funkhausorchesters Köln auf eigenen Vorschlag mit der "Geschichte vom Soldaten" im Lehmbruck-Museum, das ja hauptsächlich dem Werk des Duisburger Künstlers und Strawinsky-Zeitgenossen Wilhelm Lehmbruck gewidmet ist, der gleichfalls stark vom Ersten Weltkrieg beeinflusst wurde. Die sieben Solisten, insbesondere der stellvertretende Konzertmeister Alberto Menchen an der "Zaubergeige" und Egmont Kraus am "teuflischen" Schlagzeug, bewältigten die vor allem rhythmisch komplexe Musik vorzüglich und lebendig - stellenweise schon fast übereifrig, etwa wenn der lapidare Schluss mit einer dramatischen Steigerung aufgeladen wurde.

Die Aufführung war eine "konzertante Lesung", also ohne die eigentlich von den Autoren vorgesehenen schauspielerischen und tänzerischen Elemente. Der charismatische Erzähler war Lutz Göhnermeier aus dem Sprecherensemble des WDR. Jean Cocteau hatte diesen Part übrigens nicht - wie von Göhnermeier in seiner Einführung behauptet - bei der Uraufführung 1918 in Lausanne gestaltet, sondern erstmals 1934 in Genf.

(RP)
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