Interview mit NRW-Grünem Felix Banaszak "Wir wussten nicht, wo die Notbremse ist"

Duisburg · Der Duisburger Felix Banaszak will sich am heutigen Samstag zum NRW-Vorsitzenden der Grünen wählen lassen. Der 28-Jährige dürfte vielen vor allem wegen seines Einsatzes für die nach Nepal abgeschobene Familie Rana bekannt sein.

 Felix Banaszak tritt heute um den Landesvorsitz der Grünen in NRW an. Seine Chancen stehen nicht schlecht.

Felix Banaszak tritt heute um den Landesvorsitz der Grünen in NRW an. Seine Chancen stehen nicht schlecht.

Foto: Grüne

Felix Banaszak, Vorstandssprecher der Duisburger Grünen, kandidiert beim NRW-Parteitag am heutigen Samstag für den Landesvorsitz seiner Partei. Ein Gespräch über gesellschaftliche Herausforderungen, politische Überzeugungen und eine Festnahme in der Türkei.

Hallo, Herr Banaszak, wieso streben Sie den NRW-Vorsitz ihrer Partei an?

Banaszak: Wir leben in einer Zeit riesiger Herausforderungen. Wir erleben einen Kulturkampf von rechts, der unsere Demokratie bedroht. Hier dürfen wir nicht zurückweichen, sondern müssen Freiheits- und Menschenrechte verteidigen. Zudem stehen wir vor der Frage, wie wir Globalisierung und Digitalisierung sozial gerecht gestalten können, auch hier in NRW. Es muss der Anspruch der Grünen sein, in einer sich wandelnden Welt den gesellschaftlichen Zusammenhalt sicherzustellen. Klar ist, dass diese radikale Veränderung auch mit einem ökologischen Umbau verknüpft sein muss. Ich kandidiere, weil ich diese Entwicklungen gerne mitgestalten möchte.

Wie stellen Sie sich das vor?

Banaszak: Es geht ja um eine Teamaufgabe. Wir haben Menschen mit viel Erfahrung in der Partei- und Fraktionsspitze, und ich möchte meine Perspektiven einbringen. Nach der für uns ja enttäuschenden Landtagswahl ist jetzt eine gute Gelegenheit, einmal innezuhalten, Neues auszuprobieren und uns über Programmfragen noch einmal neu auszutauschen. Wie sieht in einem Industrieland wie Nordrhein-Westfalen die grüne Antwort auf den Strukturwandel aus? Wir müssen den gesellschaftlichen und ökologischen Umbrüchen unserer Zeit so begegnen, dass mehr Menschen von ihnen profitieren. Das Ziel muss sein, mit unseren grünen Ideen wieder Optimismus und Begeisterung für Veränderung zu wecken.

Das schlechte Landtagswahlergebnis ist ein gutes Stichwort. Die Grünen haben im vergangenen Mai ihr Ergebnis auf 6,4 Prozent halbiert. Was ist in den vergangenen Jahren falsch gelaufen?

Banaszak: Wenn man sein Wahlergebnis nahezu halbiert, kann man nicht alles richtig gemacht haben. Wir haben in den sieben Jahren Rot-Grün zwar sehr viel erreicht, aber auf der Strecke sind Fehler passiert, und am Ende konnten wir nicht mehr vermitteln, was wir eigentlich genau wollen. Die Wähler haben uns im Vorfeld der Wahl nicht mehr zugetraut, die Probleme zu lösen, unsere Kompetenzwerte in allen Bereichen waren auf dem Tiefstand. Das hat sich lange abgezeichnet, aber wir wussten nicht, wo die Notbremse ist. Wir müssen für die Zukunft deshalb auch unsere internen Entscheidungsprozesse und Warnsysteme überdenken und schauen, wie wir unsere Programme und Kampagnen gestalten, um wieder mehr Menschen, gerade auch junge Leute zu erreichen. Das ist eine große, aber auch sehr spannende Aufgabe, der ich mich gerne stellen will.

Klingt nach jeder Menge Arbeit für einen neuen NRW-Chef...

Banaszak: Nun, wir müssen uns jetzt für die kommenden Wahlen neu aufstellen - auch mit dem Ziel, dann wieder mitzuregieren und unsere Ziele umzusetzen. Auf der anderen Seite war mein Verständnis immer, dass man auch aus der Opposition heraus etwas bewegen, Menschen mobilisieren und politisieren kann. Wir müssen wieder bewegungsorientierter werden und auch mit persönlichem Einsatz glaubhaft machen, dass wir etwas verändern wollen. Das war immer die Stärke der Grünen, und dass uns das gelingen kann, haben wir beim Erhalt des Sozialtickets unter Beweis gestellt.

Dass Sie für ihre Überzeugungen auch gerne einmal um den halben Globus fliegen, haben Sie im vergangenen Jahr bewiesen. Wie geht es denn Bivsi und ihrer Familie?

Banaszak: Sehr gut. Wir haben uns kurz vor Weihnachten noch einmal getroffen. Familie Rana ist wieder in Deutschland angekommen. Herr Rana hat einen neuen Job gefunden und arbeitet nun in Düsseldorf als Sushikoch. Bivsi geht wieder normal zur Schule. Bei den Ranas ist wieder Ruhe eingekehrt. Das zu sehen, macht mich froh.

Sie haben die Familie in Nepal besucht. Wie haben Sie die Situation vor Ort erlebt?

Banaszak: Nepal war für mich eine andere Welt, aber auch für Bivsi war das ja ein Land, in dem sie vorher nie war. Wir sind über vom Erdbeben noch zerbröckelte Straßen gefahren, haben ein anderes Schulsystem, andere hygienische und gesundheitliche Standards erlebt. Und da sollte eine 14-Jährige ein ganz neues Leben anfangen, obwohl sie in Duisburg zu Hause war. Es ist gut, dass für Bivsi und ihre Familie eine Lösung gefunden wurde. Der Fall hat aber auch gezeigt, dass wir andere Gesetze brauchen. Die Ausländerbehörde hätte Spielräume nutzen können und meiner Auffassung nach auch müssen. Aber es wäre gut, wenn wir hier gesetzliche Klarheit hätten. Menschen, die so lange hier leben, arbeiten und zur Schule gehen, brauchen eine echte Bleibesicherheit.

Nun war es ja nicht das erste Mal, dass sie für ihre Überzeugungen ins Ausland aufgebrochen sind. 2016 wurden Sie in der Türkei sogar verhaftet...

Banaszak: Ich war einige Stunden in Polizeigewahrsam. Damals war ich Teil einer deutschen Delegation bei der Istanbul Pride, also dem türkischen Christopher Street Day - einer Veranstaltung, die dafür kämpft, dass auch in der türkischen Gesellschaft und Politik die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern geschützt werden. Nachdem die Veranstaltung über Jahre Zehntausende angelockt hatte, war sie in dem Jahr im Vorfeld verboten worden. Die Veranstalter hatten sich deshalb entschieden, immerhin eine öffentliche Erklärung zu verlesen. Aber selbst das wurde ihnen von den Behörden brutal verwehrt. Schon im Jahr zuvor hatte es ein kurzfristiges Verbot gegeben, das in einem großen Chaos mit viel Polizeigewalt, dem Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern endete. Die autoritären Tendenzen waren da schon deutlich spürbar.

Und das hat sie nicht abgehalten?

Banaszak: Nein, im Gegenteil. Wir wollten es den Veranstaltern, die wir seit Jahren kennen, durch unsere Anwesenheit und die internationale Aufmerksamkeit ermöglichen, ihr Statement zu verlesen und dadurch dafür zu sorgen, dass sich ihre Forderung im Land verbreiten können. Im Zuge dessen kam es dann zu Verhaftungen - unter anderem von Max Lucks von der Grünen Jugend und mir. Wir wurden bis zum Abend festgehalten. Es gab jedoch zu keinem Zeitpunkt einen konkreten Vorwurf gegen uns.

Da sind Sie ja vergleichsweise glimpflich davongekommen. Würden sie die Entscheidung von damals heute noch einmal genauso treffen?

Banaszak: Das war noch vor den Fällen von Deniz Yücel und Mesale Tolu, die ja über lange Zeit inhaftiert wurden oder es bis heute noch sind. Ich würde die Gefahr heute sicherlich anders abwägen. Die Menschen in der Türkei, die von den Repressionen betroffen sind, leben aber davon, dass sie im Ausland nicht vergessen werden. Mein Politikverständnis endet nicht an der Stadt- oder Landesgrenze. Da, wo Einsatz notwendig ist, werde ich auch in Zukunft schauen, was ich tun kann.

Wie sind Sie zur Politik gekommen?

Banaszak: Ich bin in Duisburg geboren und aufgewachsen. Die ersten Jahre in Meiderich, dann einen Großteil meines Lebens in Neudorf. Das hat mich geprägt. Auf dem Steinbart-Gymnasium habe ich früh begonnen, mich einzubringen, in der Schülervertretung und als Schülersprecher. Das lehrt einen, dass Politik auch bedeutet, Mehrheiten zu organisieren. Das waren zwar damals nicht unbedingt hochpolitische Diskussionen, die wir da geführt haben. Doch es ging schon um die Frage, wie man es in einem System, in dem unterschiedliche Gruppen zusammenleben, erreichen kann, dass auch die Interessen der Schwächsten - in diesem Fall die der Schüler - Gehör finden.

Und wie kamen Sie zu den Grünen?

Banaszak: Ursprünglich stand ich Parteipolitik kritisch gegenüber. Ich bin NGOs wie Attac und Amnesty International beigetreten und wollte mich auf diese Weise für Menschenrechte und globale Gerechtigkeit einsetzen. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 wurde dann die Gefahr einer schwarz-gelben Bundesregierung immer akuter, es ging um große Themen wie den Atomausstieg. Da bekam ich Lust, die Politik von innen heraus zu verändern. Dass ich die Grünen wählen würde, war mir da eh schon klar.

Was tun Sie denn, wenn Sie keine Politik machen?

Banaszak: Ich bemühe mich, ein Leben außerhalb der Politik zu bewahren. Ich lese und koche mit meiner WG oder mit Freunden, war früher auch sehr sportlich. Das kommt heute leider etwas zu kurz.

Das geht wohl vielen so... Was haben Sie denn gemacht?

Banaszak: Ich bin eine Zeit lang sehr viel laufen, habe sogar an einigen Halbmarathons teilgenommen. Außerdem habe ich ein Rennrad und versuche so viele Wege wie möglich damit hinter mich zu bringen. Eine Zeit lang, vor meinem Abitur, habe ich auch Turniertanz gemacht - Rock 'n' Roll.

Naja, vielleicht haben Sie nach dem Wochenende ja wieder etwas mehr Zeit. Wie steht es denn um die Chancen für Ihre Kandidatur?

Banaszak: (lacht) Nun, mit Wolfgang Rettich, der Landesschatzmeister ist, habe ich ja einen erfahrenen und respektablen Mitbewerber. Mein Umfeld und viele Parteifreunde haben mich darin bestärkt, anzutreten. Es ist ein sehr sportliches Rennen. Wolfgang Rettich und ich sind beide seit Monaten quer durch das Land unterwegs, um für uns und unsere Ideen zu werben. Wir merken, dass die Partei sich freut, die Auswahl zu haben, und werden gerade auf Herz und Nieren getestet. Am Wochenende wird es also spannend. Doch egal, wer von uns am Ende gewählt wird, wir sind beide bestens vorbereitet, um am 21. Januar loszulegen.

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