Duisburg Rathausgespräche mit klassischem Finale

Duisburg · Das waren sie nun, die Duisburger Rathausgespräche. Seit 2013 gab es sie, jeweils viermal im Jahr. Seit Sonntag sind sie Vergangenheit. Insofern passte das Thema der 20. Ausgabe ideal: Es ging um vergangene, sogenannte klassische Musik.

 Im großen Saal des Rathauses am Burgplatz gingen die Rathausgespräche über die Bühne. Das Interesse bei den Duisburgern war enorm, wie der volle Saal beweist.

Im großen Saal des Rathauses am Burgplatz gingen die Rathausgespräche über die Bühne. Das Interesse bei den Duisburgern war enorm, wie der volle Saal beweist.

Foto: Stadt Duisburg

Einst von dem Gefäßchirurgen Prof. Dr. Wilhelm Sandmann, dem Theatermann Holk Freytag und dem früheren Direktor des Clauberg-Gymnasiums Dr. Dierk Freytag gegründet und zuletzt allein noch von der Volkshochschule veranstaltet, endete vorgestern die beliebte Gesprächsreihe im Duisburger Rathaus - vorerst: denn die Volkshochschule arbeitet schon an einer Neukonzeption des Formats. Hausherr Sören Link kündigte an, dass es eine Neuausrichtung der Rathausgespräche bei gleichem Namen unter Federführung der Volkshochschule geben werde.

Der exakte Titel des letzten Rathausgespräches in seiner alten Form lautete "Die Wahrheitssucher oder: die leise Revolution der musikalischen Erneuerer". Dieses Thema hatte sich Holk Freytag, der jüngere der beiden Freytag-Brüder, gewünscht. Deshalb saß er zusammen mit Werner Dickel, Professor für Bratsche an der Rheinischen Musikschule Köln, und Martin Schie, Orchestermanager der Duisburger Philharmoniker, als Gast auf dem Podium.

Begleitet mit Klangbeispielen aus Beethovens "9. Sinfonie" und Mozarts Oper "Don Giovanni" von einer jeweils älteren und neueren Tonaufnahme hielt Freytag ein flammendes Plädoyer für Musik als künstlerisches Ausdrucksmittel im Allgemeinen und die Klassik im Besonderen: "In den alten Werken befindet sich unsere gesamte Lebensexistenz. Diese sind Grundlage und Ausdruck unserer westlichen Kultur." Dennoch dürfe klassische Musik nicht museal daherkommen, sondern müsse sich den Herausforderungen der Zeit stellen, fügte er hinzu. "Deshalb lesen Dirigenten und Musiker ebenso wie Regisseure und Interpreten die Partituren und Libretti der Musikwerke heute genauer als früher. Das Rezitativ der Oper wird jetzt eher wie ein Schauspiel interpretiert und auf der Bühne vorgetragen. So liest sich das Libretto von Beethovens 'Fidelio' zum Beispiel wie der Text eines Zeitgenossen. Denn schließlich geht es in der Oper doch um Zivilcourage, autoritäre Gesellschaftssysteme und Partnerschaftsprobleme."

Musik habe sich vor allem in den 1970er Jahren verändert, war Dickel als langjähriges Mitglied des "Ensemble Modern", einem der weltweit profiliertesten Ensembles für Neue Musik, der Auffassung. "Kein deutscher Musiker hat einen derart hohen Einfluss auf die Entwicklung der historischen Aufführungspraxis gehabt wie Reinhard Goebel während dieser Zeit. Er war geradezu ein Revolutionär der klassischen Musik."

Goebel war Gründer und 33 Jahre lang Leiter des legendären Ensembles "Musica Antiqua Köln". Doch unabhängig davon, frage er, Dickel, sich, wo denn in den heutigen Konzertprogrammen die zeitgenössischen Kompositionen blieben. "Nur etwa ein Prozent des Programmrepertoires wird der Neuen Musik gewidmet; der Rest gehört der Klassik", bemängelte Dickel.

Schie, seit mittlerweile zwei Jahren Orchester- und Veranstaltungsmanager bei den Duisburger Philharmonikern, machte hierzu auf den Zusammenhang zwischen dem Wohlbefinden der Konzertbesucher und der ihnen vertrauten Musik aufmerksam.

"Das Publikum will sich beim Konzert wohlfühlen. Und das gelingt mit älterer Musik eher als mit zeitgenössischer. Mittlerweile geht das so weit," weiß er zu berichten, "dass, sobald das Publikum eine musikalische Dissonanz im Konzertprogramm wittert, es zu Hause bleibt."

Das Duisburger Publikum, das übrigens vom Klassikmagazin "Concerti" zu den Nominierten im Wettstreit um den Titel "Publikum des Jahres 2017" zählt, sei seiner Meinung nach aber weitgehend offen für Neue Musik, auch wenn diese Musikrichtung von der Rezeption her als anstrengend bezeichnet würde.

Auch wenn Freytag ein ziemlich düsteres Bild von der Zukunft der klassischen Musik hierzulande hinsichtlich des überalterten Publikums zeichnete ("In wenigen Jahren hat sich das Problem auf biologischem Weg gelöst"), ganz so pessimistisch sahen weder Dickel noch Schie diese Entwicklung. Entscheidend sei es ihrer Meinung nach, in welchem kulturellen Umfeld der Mensch aufwachse, wie sich sein persönlicher Zugang zur Musik gestalte und welche Wertschätzung die Musik in einer Gesellschaft genieße.

(RP)
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