Interview: Gastbeitrag Harald Küst Schuldenkrise ist kein neues Thema

Duisburg · Im Mittelalter vertrieb die Steuerpolitik der Stadt die Wohlhabenden in Scharen. Und Duisburg musste gegen einen gewaltigen Imageschaden ankämpfen.

Duisburg in der Schuldenfalle. Doch das ist kein Phänomen der Neuzeit. Schon im Spätmittelalter gab es ungezügelte Kreditaufnahmen, eine hohe Verschuldung, Steuererhöhungen und Abwanderung wohlhabender Bürger. Das belegen die 44 Pergamentrollen und 7 Papierkladden aus dem 14. Jahrhundert im Stadtarchiv Duisburg.

Ende des 14. Jahrhunderts erlebten die geschätzten 3000 Einwohner Duisburgs eine der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrisen des Mittelalters. Zur wohlhabenden Elite der Stadt zählten gut fünf Prozent der Bevölkerung. Die Mittelschicht der Handwerker, Kaufleute und Ackerbürger machte rund ein Drittel der Einwohner aus. Die breite Unterschicht bildeten abhängige Lohnempfänger sowie Sieche, Obdachlose oder Bettler. Ganz am Rande der Gesellschaft lebten Dirnen, Bader, Totengräber, Abdecker und Latrinenreiniger. Aus der blühenden mittelalterlichen Handelsmetropole war seit der Rheinverlagerung eine von Krisen geschüttelte Ackerbürgerstadt geworden.

Der städtische Buchhalter notierte im Haushaltsjahr 1391/92 akribisch die Ein- und Ausgaben. Jahr um Jahr spiegelten sinkende Einnahmen und steigende Ausgaben die krisenhafte Entwicklung der Stadtfinanzen wider. Hauptposten waren Rentenforderungen. Gläubiger drohten mit Zwangsmaßnahmen. Wie sollte er die dramatische Situation seinem Bürgermeister erklären?

Ursache für diese Entwicklung war die Aufnahme hoher Darlehen, die Duisburg vor allem unter Engelbrechts von der Mark (1366-1391) für politische und militärische Ausgaben aufnehmen musste. Die robusten Zwangsmaßnahmen der Gläubiger nahmen 1391 nach dem Tod Engelberts deutlich zu, um ihre Rentenforderungen durchzusetzen. Schon im Frühjahr 1392 hatten sie Bannbriefe gegen die Stadt erwirkt. Nur mit Mühe und Not konnte die Pfändung des Weideviehs verhindert werden. Doch konnte das Kapital zur Abwehr der Zwangsmaßnahmen schon bald nicht mehr aufgebracht werden, so dass im Herbst 1392 tatsächlich der Kirchenbann über die Stadt verhängt wurde. Die gesamte Einwohnerschaft Duisburgs wurde exkommuniziert. Eine Absolution von dieser Kirchenstrafe konnte nur durch eine Sondersteuer (schaet) bei der Einwohnerschaft erreicht werden. Sie betrug staatliche 1500 Gulden und erfüllte vorerst die Forderungen der Kläger. Das war aber nur ein Aufschub auf Zeit.

Weitere Zwangsanleihen bei den wohlhabenden Bürgern folgten, um rückständige und laufende Rentenforderungen zu erfüllen. Das gravierendste Problem dieser Schuldenkrise bestand jedoch darin, dass trotz derartiger finanzieller Kraftanstrengungen, die als befristet angekündigte Sondersteuer nun regelmäßig erhoben wurde. Dies führte zu einer dramatischen Kettenreaktion. Die Kopf- und Vermögenssteuer traf insbesondere die Fernkaufleute, die hohe Kapitalien in Schiffen und Handelsgütern anlegen mussten. Um sich vor Vermögensverlust zu schützen, machten sie zunehmend von der Möglichkeit Gebrauch, ihr Bürgerrecht aufzukündigen und ihren Handelssitz in benachbarte Städte zu verlagern. Zwischen 1390 und 1413 fand ein Exodus der Duisburger Kaufmannschaft statt, so dass von über 100 im Handel mit Köln Tätigen nur noch 20 übrig blieben. Der früher einträgliche Weinhandel wurde durch Zollforderungen zunehmend unrentabel. Ein weiterer negativer Effekt war der Imageschaden für die Stadt, den sie durch die allgemein bekannte Zahlungsunfähigkeit erlitt.

Die rein finanziellen Folgeprobleme der ungezügelten Verschuldung vor 1377 zogen sich über mehrere Jahrzehnte hin. Daher kam es über 30 Jahre immer wieder zu Zahlungsschwierigkeiten, und die Stadtspitze musste sich bis 1412/13 mit Zwangsmaßnahmen und Bannbriefen auseinandersetzen. Dann besserte sich die Haushaltssituation und erreichte 1417 das Niveau anderer spätmittelalterlicher Städte.

Immer mehr Kommunen - so auch Duisburg - stecken auch heute tief in der Schuldenfalle - und erhöhen auf breiter Front Steuern, so die Ergebnisse einer Studie von Ernst & Young. Und in den kommenden Jahren dürfte sich dieser Trend noch verstärken. Immerhin jede zweite deutsche Kommune rechnet damit, dass ihr Schuldenstand in den kommenden drei Jahren (weiter) anwachsen wird. Nur jede dritte erwartet einen Schuldenabbau. Ohne Strukturreformen wird es allerdings nicht gehen. Doch Duisburg ist krisenerprobt - das beweist der Zyklus der Aufschwungphasen.

(RP)
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