Duisburg Schwierige Integration am "Problemhaus" der Rumänen

Müll, Dauerlärm und hochschnellende Kriminalitätszahlen: Mitten im bürgerlichen Duisburg-Rheinhausen sorgt ein überfülltes Mietshaus mit hunderten Rumänen für öffentlichen Streit. Wie im Brennglas zeigt sich hier das Problem der "Armutstrecks" in Europa.

Blick auf Duisburgs "Problemhaus" in Rheinhausen
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Blick auf Duisburgs "Problemhaus" in Rheinhausen

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Foto: dpa, obe hpl

Um das Wohlstandsgefälle Europas zu sehen, muss man in Duisburg-Rheinhausen nur über die Straße "In den Peschen" gehen: Auf der einen Seite sorgfältig gepflegte Reihenhäuser aus den 70er und 80er Jahren, auf der anderen Seite das "Problemhaus", wie es an Duisburger Stammtischen heißt: In einem achtstöckigen Backstein-Mietshauskomplex mitten in dem bürgerlichen Viertel Rheinhausen-Bergheim leben dicht zusammengepfercht geschätzte 600 Armutsflüchtlinge aus Rumänien und Bulgarien - viele sind Roma.

Die Namensschilder an den Briefkästen des Hauses sind überklebt und bekritzelt. Wer hier alles wohnt, weiß niemand so genau. Im Innenhof stehen abgemeldete Autos unklarer Herkunft neben einem Einkaufswagen randvoll mit Müll und Essensresten, zwei alten Reifen liegen am Boden. Junge Männer mit Kapuzenpulli und Lederjacke stehen um einen Wagen mit offener Motorhaube. Ein anderes Auto dröhnt mit offensichtlich defektem Auspuff vorbei.

Tagelöhnerjobs in der Grauzone

Eine Mutter wirft eine volle Windel aus dem Fenster. Sie landet direkt neben der Journalistengruppe, die das Haus anschauen will. Kurz zuvor sind zwei Männer und ein Frau mit Rollkoffer, Plastiktüten und schweren Taschen aus einem Taxi gestiegen. Sprechen wollen sie nicht. Sie verschwinden schnell im Haus - schon wieder drei neue Mieter.

Häuser mit Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien gibt es seit dem EU-Beitritt der beiden Länder 2007 in vielen deutschen Großstädten. Die Menschen genießen Freizügigkeit. Ihr Aufenthalt ist legal, offiziell arbeiten dürfen sie allerdings erst ab 2014. So bleiben ihnen Tagelöhnerjobs in der rechtlichen Grauzone und selbstständiges Kleingewerbe etwa als Metallsammler - und manche weichen in die Illegalität aus.

Allein in Duisburg leben nach Schätzungen der Stadt rund 7000 Bulgaren und Rumänen, mehr als 1500 davon kamen im vergangenen Jahr. Meist wohnen sie in "armen" Gegenden, in denen die Mieten niedrig und die Nachbarn duldsam sind. In einem wohlhabenden Viertel wie Rheinhausen-Bergheim ist der Kontrast zur alteingesessenen Bevölkerung und die Außenwirkung dagegen stärker. Das "Problemhaus" hat es zu unerwünschtem Ruhm gebracht.

Nächtlicher Lärm und eine deutlich gestiegene Kriminalität rund um das Haus bringen die Nachbarn auf die Palme. Hunderte unterschrieben einen Protestbrief; einige Wutbürger forderten sogar die "Umsiedlung" der Rumänen.

Krach in der Nacht

"Ich kann nachts nicht mehr schlafen", sagt Anwohnerin Eva Cardia. "Immer geht der Krach nachts um halb eins los mit den Autos." Eine Wohnung in Cardias Haus genau gegenüber vom Rumänen-Haus steht schon leer. Der Bewohner ist wegen des Krachs ausgezogen. Ständige Beschwerden haben auch die lokale CDU-Landtagsabgeordnete Petra Vogt auf den Plan gerufen. Sie erkundigte sich im Herbst 2012 in einer parlamentarischen Anfrage, ob die Landesregierung rund um das Haus "illegale Zustände" dulde.

Auf der anderen Seite bemühen sich die Stadt und ehrenamtlich tätige Duisburger eines Bürgervereins und eines Runden Tisches um die Integration der Menschen - mit ersten Erfolgen. So startet derzeit eine Impfaktion für 108 Kinder, und es werden Vorbereitungsklassen mit rumänisch sprechenden Lehrern eingerichtet - Teil eines Handlungskonzeptes zur Integration, das der Duisburger Stadtrat im März abgesegnet hat.

Dennoch ist der Weg noch weit. Viele Bewohner reagieren weiter misstrauisch, die Sprachhürde ist hoch, und von den 150 Kindern im Haus geht bisher kaum eines zur Schule. Seit in Talkshows über das Duisburger Haus berichtet wurde, haben auch ausländische Journalisten etwa aus Großbritannien das Thema entdeckt. "Sie berichten voller Klischees - nach dem Motto "Die Vandalen kommen"", klagt der Rheinhausener Pfarrer Heiner Augustin, der einen Runden Tisch für die Zuwanderer eingerichtet hat.

Kamerateams und Journalisten sind seitdem am Haus nicht mehr gern gesehen. Trotz vieler Nachfragen will niemand die Besucher in seine Wohnung lassen. Alle beteuern nur, dass die "sehr sauber" seien. Als Reporter wenigstens den Flur des Mietshauses anschauen wollen, halten einige Bewohner von innen die Tür zu.

Im Innenhof stehen junge Männer - zögernd und zugleich bemüht, ihre Sicht der Dinge auszudrücken. Sie reden durcheinander. Auch mit Dolmetscherin ist kaum etwas zu verstehen. "Ich möchte Arbeit, aber ich habe keine Dokumente", sagt ein Rumäne, der seinen Namen nicht nennt, "aber die Leute hier wollen uns vertreiben". Er setze keine große Hoffnung auf die Zeit in Duisburg. "Ich will nur ein paar Euro verdienen."

Bewohner fegen den Hof

Gabriel Paraipan, ein gut 40 Jahre alter Mann mit Trainingshose, blauem Kapuzenpulli und kurz geschorenen Haaren, kehrt mit zwei seiner fünf Söhne den Hof. Er sei vor schlimmen Lebensbedingungen aus Rumänien geflohen und möchte, dass sein neues Zuhause ordentlich aussehe, übersetzt die Dolmetscherin. "Das Wichtigste ist, dass die Kinder in die Schule gehen." Doch ob seine Kinder wirklich in die Schule gehen, sagt der Mann nicht. Und auch nicht, wovon er lebt und die Miete zahlt.

Anspruch auf Kindergeld haben die Zuwanderer nur, wenn sie hier ein Gewerbe anmelden. Mehr als 800 Gewerbeanmeldungen von Bulgaren und Rumänen hat die Stadt zum Jahresbeginn bereits registriert, etwa als Schrotthändler. Und das Kindergeld addiert sich in manchen Familien zu erheblichen Beträgen. Das ist der Stoff, aus dem ausländerfeindliche Attacken entstehen. Manche Männer fühlen sich bedrängt: "Sie überwachen uns hier wie die Tiere", ruft einer. "Soll ich auch mit der Kamera in Dein Wohnzimmer kommen?"

Vergangene Woche versuchte die rechtsextreme Partei ProNRW, mit einer Demonstration vor dem Haus Stimmung zu machen. Duisburger Bürger reagierten mit einer Gegendemonstration und organisierten in einem Nebenhaus ein Frühstück für die Hausbewohner. Die kamen jedoch nur sehr zögerlich, berichtet ein Polizeisprecher. Im Haus kursierten die wildesten Gerüchte über "draußen", viele Bewohner seien verängstigt.

Angst, Unsicherheit, bei manchen Zorn - das ist die Sicht der Bewohner des Hauskomplexes und erst recht der rund 150 Kinder darin:
In dem Backsteinhaus steht ein etwa dreijähriger Junge am Fenster und blickt in eine für ihn fremde Welt. Ohne Deutschkenntnisse bleibt ihm die Stadt verschlossen. Ein dunkelhaariges Mädchen im Kindergartenalter mit viel zu dünnen Pantoffeln läuft an der Hand ihrer Mutter vorbei. Ein Journalist winkt. Das Mädchen lächelt und winkt zurück. Die Mutter zieht ihr Kind schnell weiter.

Die andere Realität des Hauses zeigt ein Blick in die Polizeistatistik der Stadt. Nach dem Zuzug zahlreicher Rumänen und Bulgaren explodierte im Haus die Kriminalitätsrate. Ab Februar sei die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Personen mit der Wohnanschrift "In den Peschen" von geringen Zahlen auf monatlich zweistellige Werte gestiegen, teilt die Polizei mit. Trickdiebstahl am Geldautomaten, Metalldiebstähle, Spendenbettelei mit Griff nach dem Geldbeutel - typische Armutskriminalität registrierte Polizeisprecher Stefan Hausch. 379 Strafverfahren leitete die Polizei allein von Januar bis Ende September 2012 gegen Hausbewohner ein.

Die Herausforderungen ließen sich allein mit polizeilichen Mitteln kaum in den Griff bekommen, heißt es in der Antwort des aus Duisburg stammenden NRW-Innenministers Ralf Jäger (SPD) auf die Anfrage der CDU-Abgeordneten. Wichtig sei vor allem eine erfolgreiche Integration. Doch dabei fühlt sich die hoch verschuldete Stadt überfordert und vom Bund im Stich gelassen.

"Berlin muss wach werden", fordert Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD). Viele Zuwanderer seien nicht krankenversichert, die Kinder müssten geimpft und beschult werden und die Sprache lernen.
"Diese Menschen sind gekommen, um zu bleiben", betont Link. Der SPD-Mann hat Verständnis für die Armutstrecks, aber seine Rechnung macht er trotzdem auf: Ein Schulkind kostet pro Jahr rund 1600 Euro, 1200 rumänische und bulgarische Kinder hat die Stadt seit 2007 beschult - macht rund 11,5 Millionen, die Duisburg nicht hat. Und das gerade beschlossene Duisburger Maßnahmenpaket kostet weitere 18,7 Millionen Euro.

Stadt-Ausgaben steigen durch Hartz IV

Die Stadt ächzt unter 2,1 Milliarden Euro Schulden und muss jedes Jahr rund 120 Millionen Euro zusätzlich aufnehmen. Wenn 2014 für die Rumänen und Bulgaren die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit kommt, steigen die Ausgaben weiter sprunghaft. Dann dürfen die Zuwanderer arbeiten und bekommen folglich auch Hartz IV. Die Kommune muss dann 75 Prozent der Kosten für die Unterkunft übernehmen. Das seien weitere 13,4 Millionen Euro, sagt Link.

Wenn Duisburg die Integration nicht schafft, könnte das "Problemhaus" zu einem Kristallisationspunkt einer neuen Welle von Ausländerfeindlichkeit werden, fürchtet der ehrenamtliche Duisburger Sozialarbeiter Rolf Karling. "Nach den Mafia-Morden und der Loveparade braucht Duisburg kein weiteres öffentliches Desaster fremdenfeindlicher Übergriffe", sagt der Initiator des Duisburger Vereins "Bürger für Bürger". Karling setzt auf konkrete Hilfe gegen das Misstrauen: Seit ein paar Tagen fährt er jeden Abend gegen halb sechs mit einem Kleinbus voll mit gespendetem Brot am Haus vor. Das Brot wird ihm aus der Hand gerissen, viele Bewohner haben Hunger.

Karling ist in der Stadt bekannt wie ein bunter Hund, seitdem er den früheren Oberbürgermeister Adolf Sauerland wegen der Loveparade-Katastrophe mit Ketchup attackiert hat. Er scheut sich nicht vor ungewöhnlichen Schritten. So steht er mit dem Eigentümer des Hauses, einem auch in der Rotlichtszene der Stadt engagierten Geschäftsmann, in engem Kontakt. Der Kroate hat ihm mietfrei ein Haus neben der Problem-Immobilie überlassen.

Dort will Karling ein Begegnungszentrum aufbauen - mit Aufenthaltsräumen für die Rumänen, die vielfach in völlig überfüllten Wohnungen leben, mit einem Gebetsraum und kostenlosem Nachhilfeunterricht, den Mitglieder der Duisburger Initiative "Zoff" erteilen sollen. Kettenraucher Karling mit seiner Nato-Kampfjacke wirkt schon äußerlich völlig anders als die Beamten des Duisburger Ordnungsamtes, die täglich am Haus Streife fahren. Karling schafft es, Vertrauen aufzubauen.

Der Weg nach Duisburg-Rheinhausen führt über die "Brücke der Solidarität". Der Name erinnert an den bundesweit beachteten Kampf von Arbeitern und Anwohnern vieler Nationalitäten gegen die Schließung des Krupp-Stahlwerkes vor gut 25 Jahren. Der Zusammenhalt von Rheinhausen ist spätestens seitdem Mythos. Nun steht er vor einer neuen, harten Bewährungsprobe.

(lnw/top)
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