Leichtathletik Die Leichtathletik macht's wie die Pinguine

Leichtathletik · Interview mit Vertretern des Leichtathletik-Verbandes Nordrhein über die Situation der Sportart an der Basis und darüber hinaus.

Olympia 2012: die Splitter
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Foto: dpa, Ho

Vor dem Beginn der Leichtathletik-Wettbewerbe bei den Olympischen Spielen in London unterhielten sich Steffi Sandmeier und Reinhard Pösel mit Vertretern des Leichtathletikverbandes Nordrhein (LVN) über Probleme der Sportart an der Basis. Mit am Tisch saßen Franz-Josef Probst (Präsident des LVN), Hans-Jürgen Sura (Geschäftsführer des LVN) und Dieter Voigt (Leistungssportreferent des LVN).

Die Deutschen Jugendmeisterschaften in Mönchengladbach sind gerade vorbei. Wie wichtig sind Veranstaltungen dieser Art für die Leichtathletik im Landesverband Nordrhein?

FRANZ-JOSEF PROBST Sehr wichtig. Die Stadt Mönchengladbach hat dafür 700 000 Euro in die Hand genommen. Die Gelder flossen in die Erneuerung der Kunststoffanlagen im Grenzlandstadion. Die Außenanlagen wurden in einen besseren Zustand gebracht, eine Stabhochsprunganlage und viele Kleingeräte neu gekauft. Das alles kommt der Leichtathletik in Mönchengladbach jetzt zugute.

HANS-JÜRGEN SURA Ein anderer Aspekt betrifft die Motivation der Mitarbeiter. Der Einsatz bei einer so exponierten Veranstaltung motiviert, auch bei nicht ganz so bedeutenden Sportfesten ebenfalls zur Verfügung zu stehen. Vielleicht kommt durch deren Begeisterung an der Sache auch andere auf den Geschmack, bei großen Titelkämpfen einmal selbst mitzuarbeiten — und möglicherweise — da macht die Zeit auch vor dem Verband nicht halt — die Videokamera für den Live-Stream im Internet zu bedienen.

PROBST Den gab es von den Jugendmeisterschaften zum ersten Mal. Die ersten Auswertungen hinsichtlich der Resonanz sind erfreulich. Das zeigt uns, dass wir bei der Verbreitung unserer Sportart nicht alleine auf die großen Fernsehanstalten angewiesen sind. Das Internet als modernes Kommunikationsmedium, über das sich gerade junge Menschen austauschen, öffnet Wege, um für den Sport zu werben.

Wir sitzen in den Räumen des Verbandes im Sportpark Wedau und haben das Eintracht-Stadion im Blick. Da liegt die Frage nahe, wie es um die Leichtathletik in Duisburg bestellt ist.

PROBST So schön die Anlage geworden ist, sie setzt uns aus räumlichen Gründen leider Grenzen. Insbesondere der Langwurf (Diskus, Hammer, Speer), das Fassungsvermögen der Tribüne und die zu kleinen Außenbereiche, um sich auf den Wettkampf vorzubereiten, stünden beispielsweise schon der Ausrichtung Deutscher Jugendmeisterschaften im Wege.

Dennoch wird die Leichtathletik froh sein, nach dem Wegfall des Wedaustadions mit Unterstützung der Kommune dieses funktionelle Stadion bekommen zu haben.

PROBST Das ist so. Die Erfolge der Sprinterinnen von Eintracht Duisburg zeigen das. Als Verband wären wir noch zufriedener, wenn die Trainingsmöglichkeiten dort auch von Leichtathleten anderer Duisburger Vereine genutzt würden. Denn ein nicht unbedeutender Teil der unter Leistungsaspekten betriebenen Sportart wird zukünftig in einer noch größeren Konzentration der Ressourcen liegen.

Wie ist der Leistungsstand der Duisburger Athleten derzeit einzuordnen?

VOIGT Die Kaderathleten, die die Stadt Duisburg jährlich in ihren Vereinen betreut, sind in den letzten Jahren an einer Hand abzuzählen. Es wäre schön, wenn die Hand voll wäre, aber sie ist es nicht.

Was bedeutet die Zahl der Kaderathleten für den Standort Duisburg?

VOIGT Als ein wesentliches Kriterium für die Anerkennung als Leistungsstützpunkt schreibt der Landessportbund eine Mindestzahl von fünf Kaderathleten vor. Das erfüllen wir in Duisburg derzeit nicht. Und so kann der Standort auch die Annehmlichkeiten, die mit einem solchen Status verknüpft sind, nicht nutzen.

Könnten Sie das konkretisieren?

VOIGT Als Leistungsstützpunkt hätte man noch bessere Trainingsbedingungen und könnte dann wiederum etwas mehr erreichen: in der Regel hat man gegenüber der Kommune als Träger der Sportanlagen bessere Möglichkeiten, Trainingszeiten oder auch Zuschüsse für Honorarkräfte zu erhalten.

Woran liegt es, dass immer weniger Leichtathletik betrieben wird?

VOIGT Durch die Zunahme der Sportarten vollzog sich eine Umverteilung der Sporttreibenden auf eine viel größere Zahl von Sportarten. Das erklärt den Rückgang des Athletenpotenzials, aus dem heraus man gute Leistungen entwickeln könnte. Dazu kommt der demographische Wandel.

Es muss aber auch noch sportartspezifische Gründe geben, weshalb Jugendliche irgendwann abspringen?

VOIGT Da muss der gesellschaftliche Wertewandel angeführt werden, der sich auf die Leichtathletik auswirkt. Und das, obwohl die Leichtathletik olympische Kernsportart ist und im Fernsehen hohe Zuschaueraufkommen generiert. Der Einzelne jedoch tut sich schwer, über mehrere Jahre hart zu trainieren und darauf zu warten, bis ein bestimmter Leistungsstand erreicht worden ist. Da tun sich Mannschaftssportarten leichter, aber auch solche wie Schwimmen beispielsweise, bei denen der Körper getragen wird. An einen selbst werden dabei nicht so große Herausforderungen gestellt, gegen die man im Training anarbeiten muss. Das ist gerade bei Jugendlichen, die in die Pubertät kommen, ein Kriterium für oder gegen eine Sportart.

Ganz offensichtlich fehlt Kindern und Jugendlichen aber auch die Zeit.

VOIGT Mit der Einführung des G8 und des Offenen Ganztags sind die Jugendlichen zeitlich weniger verfügbar. Jugendliche müssen Kompetenzen als Manager erwerben, damit sie ihren Alltag geregelt bekommen, sofern sie neben der Schule Hobbies pflegen wollen. Wir sprechen bei Athleten aus dem Kaderbereich von fünf Trainingseinheiten in der Woche — plus Fahrzeiten. Das muss ein Jugendlicher erst einmal von seiner Freizeit abzwacken und dann auch das Glück haben, genau zu der Zeit, in der es die Rahmenbedingungen verlangen, trainieren zu können.

SURA An der Problematik der abnehmenden Zahl von Kindern arbeiten wir gezielt. Wir wollen Lösungen haben, die fundiert sind, und deshalb gehen wir sorgfältig vor. Wir lassen erst eine Analyse machen, bevor wir anschließend die Erkenntnisse bewerten und daraus Folgerungen ableiten.

Werden die Vereine mit weniger Athleten und einer abnehmenden Zahl an Übungsleitern und Trainern überhaupt noch in der Lage sein, die ganze Breite der Leichtathletik den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln?

SURA Meiner Ansicht nach sollten die Vereine noch enger zusammenarbeiten. Das muss ja nicht gleich im Sinne einer Fusion sein. Auch daneben sind Formen denkbar: eine Leichtatletik-Gemeinschaft (LG) oder Startgemeinschaft in den Mannschaftsdisziplinen. Die Vereine müssen sich an einen Tisch setzen und überlegen,wo welche fachlichen Kompetenzen vorhanden sind, die man unabhängig von der Vereinszugehörigkeit den Athleten anbieten kann. Die LG ASV/DSHS Köln, die sich jetzt leider wieder aufgelöst hat, hat gezeigt, wie schnell man sich in die Leistungsspitze vorarbeiten kann, wenn Ressourcen gebündelt werden.

VOIGT Die Startgemeinschaften beinhalten für mich einen motivierenden Aspekt für den Sportler, da er nach wie vor in seinem eigenen Verein trainiert und nur bei Wettkämpfen die Chance hat, in einer Mannschaft anzutreten. Dadurch wird die Qualität des Trainings noch nicht beeinflusst. Das ist erst der Fall, wenn man je nach Neigung und Qualifikation der Übungsleiter und Trainer in einer LG Trainingsgruppen bildet.

Was heißt das in der Konsequenz?

VOIGT Eine Startgemeinschaft kann einen Einstieg in eine Zusammenarbeit darstellen. Bleibt es jedoch dabei, ist das eine Mogelpackung. Der nächste Schritt auf dem Weg zu einer qualitativen Verbesserung des Trainings muss eine LG, eine LAV oder ein LAZ sein.

Warum reift die Erkenntnis der Zusammenarbeit erst so spät?

VOIGT Da verfährt die Leichtathletik wie die Tierwelt: Wenn es kalt wird, rücken die Pinguine enger zusammen. Aber das machen sie erst, wenn die Umgebungstemperatur alleine nicht mehr zu ertragen ist.

(RP/rl)
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