Duisburg Timm Ulrichs' KulturLatein in Hochfeld

Duisburg · Der bekannte Künstler und Teilnehmer der Documenta 1976 war jetzt zu Gast in der Hochfelder Kneipenreihe. Er erzählte von seinem Leben als "Totalkünstler" und schockte gelegentlich seine Zuhörer mit seinen Ansichten.

Klein, aber gemütlich wirkt das "Alt Hochfeld". Michael Willhardt, der die ehemalige Kneipe mit Leben erfüllen möchte, begrüßt die Gäste mit frisch gezapftem Pils. Er organisiert hier regelmäßig Kulturabende, um in Hochfeld ab und zu für positive Schlagzeilen zu sorgen. Das kleine Lokal ist gut gefüllt. Mit etwas Verspätung kommt auch Timm Ulrichs in der Traditionskneipe an.

Der bekannte Künstler ist ein schlanker Mann mit Brille, leicht zerzausten Haaren, in Sakko und buntem Hemd. Nur zwei Paar Schuhe würde er besitzen, keine großen materiellen Besitztümer haben. Er sei immer auf Achse und ein "Totalkünstler" - wie Ulrichs sich selber bezeichnet. Urlaub mache er nie. Auch ein Auto besitze er nicht. "Ich habe die Bahncard 100", erzählt der 75-Jährige. Eine Investition, die sich lohnen würde: "Ich kann überall hin und treffe interessante Menschen auf meinen Reisen."

"In meinem Alter gibt es viel zu erzählen", so Ulrichs. Lachend fügt er hinzu: "Wer mir sein Ohr leiht, kriegt es nicht mehr wieder."

Ulrichs' künstlerische Laufbahn begann mit einer "Kunstpause" nach drei Semestern Architekturstudium in Hannover. Mit Nebenjobs habe er sich durchgeschlagen - als Eisverkäufer zum Beispiel. Er verkaufte weiterhin seine Werke, schuf neue Projekte. Unter anderem gründete er eine "Werbezentrale für Totalkunst & Banalismus". Ulrichs setzt in vielen Kunstwerken sich selbst als Menschen in den Mittelpunkt. Er präsentiert sich als lebendes Kunstwerk, die Grenze zwischen Kunst und Leben verwischt er. Seinen Körper in Berlin nackt auszustellen sei ihm zwar verboten worden, aber der gebürtige Berliner fand andere Möglichkeiten, seinen Körper in die Kunst einzubeziehen. In einem Kurzfilm zeichnet - oder nagelt, besser gesagt - ein Messerwerfer Ulrichs' Silhouette mit scharfen Klingen auf eine Holzwand. "Es war für mich eine ganz neue Art Portrait meiner selbst", sagt der Künstler dazu.

Auch Tätowierungen entdeckte der Neodadaist als neue Ausdrucksform - sein rechtes Augenlid ziert der Schriftzug "The End". In seiner Herzgegend ließ er eine Zielscheibe stechen. Der Konzeptkünstler sieht sein ganzes Leben als Kunstwerk an.

Ulrichs trägt seinen Atheismus offensiv und oft auch provozierend zur Schau. Bei seinem Hochfelder Besuch nahmen nicht alle Zuhörer seine Aussagen gelassen und widerspruchslos auf. "Für den Austritt aus der Kirche bot ich meinen Studenten den doppelten Judas-Lohn, also 30 statt 15 Silbertaler", so der Künstler. Religion und Glaube bezeichnet er als "anerzogen und erzwungen".

Seiner Meinung nach habe dies nichts mit persönlicher Überzeugung zu tun. Er selbst sei ohne einen Glauben aufgewachsen und "bisher ohne diesen gut zurechtgekommen".

Auch in einem seiner bekanntesten Werke - "Timm Ulrichs von der Unterseite" - steht der Künstler selbst im Mittelpunkt. Ein Bronzeabguss seines Körpers, kopfüber in den Boden eingelassen, soll die Denkmalkultur der Gesellschaft in Frage stellen. Quasi ein "Contra an den Denkmalschutz". Das Kunstwerk liegt in Kassel und ist auch Ulrichs' geplante Grabstätte. Nach seinem Tod möchte er eingeäschert werden. Seine Frau soll filmen, wenn aus dem Ofen die Rauchwolke nach seiner Verbrennung ihn "gen Himmel entlässt". Soll dies eines Tages sein letztes Kunstwerk werden? "Ich könnte es ja nicht mehr begutachten", antwortet er. "Aber bis dahin dauert es hoffentlich noch eine Weile", antwortet der Künstler und lacht.

(RP)
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