Mann lag seit 2015 tot in Duisburger Wohnung Der Nachbar, den niemand vermisste

Der Tod des Mannes, dessen Leiche fast drei Jahre lang unbemerkt in einer Duisburger Wohnung gelegen hat, verbreitet große Betroffenheit. Angehörige hat der Verstorbene offenbar nicht gehabt.

 An der Tür zu der Wohnung klebt ein Siegel des Gerichtsvollziehers.

An der Tür zu der Wohnung klebt ein Siegel des Gerichtsvollziehers.

Foto: reichwein

Das Siegel des Gerichtsvollziehers an der Wohnungstür in der zweiten Etage des Mehrfamilienhauses in Duisburg-Marxloh ist zerkratzt und durchtrennt. Ein weiterer Zettel klebt unter dem Türspion. Die Hausverwaltung hat ihn vermutlich irgendwann im Jahr 2016 dort angebracht. Darauf steht: "Wir haben Sie mehrfach nicht angetroffen. Rückruf dringend erbeten."

Eine Aufforderung, die der Mieter nie nachgekommen ist, weil er zu diesem Zeitpunkt längst verstorben ist. Seit Mai 2015 soll der Mann, Geburtsjahrgang 1942, bereits tot in seiner Wohnung gelegen haben. Aber erst vor wenigen Wochen, Anfang Januar, haben Handwerker die verweste und zum Teil schon skelettierte Leiche zufällig entdeckt. Niemand hat ihn vermisst. Niemand hat nach ihm suchen lassen. Die Nachbarn nicht. Mögliche Verwandte, Freunde und Bekannte nicht. Und auch sonst niemand. Er sei wohl eines natürlichen Todes gestorben. Nichts deute auf Fremdverschulden hin, heißt es bei der Polizei. In der Wohnung finden die Polizisten eine Fernsehzeitung. Aufgeschlagen ist das Programm vom Mai 2015.

Bewohner des Hauses leben sehr zurückgezogen

Die Bewohner des Hauses, in dem sieben Parteien wohnen, leben sehr zurückgezogen. Die meisten wollen für sich bleiben. Man weiß nicht viel über die, die nebenan und obendrüber wohnen. Da gibt es zum Beispiel einen Deutschen mittleren Alters, der morgens zur Arbeit geht und abends zurückkommt. Den man ansonsten aber nicht sehe, sagt Sera B. (Name geändert). Die junge Bulgarin wohnt im Erdgeschoss. Sie hat gar nicht mitbekommen, dass "der ältere Mann von oben", wie sie ihn nennt, nicht mehr lebt. Sie kann es kaum glauben, dass er so lange tot in der Wohnung gelegen haben soll. Furchtbar sei das, sagt sie in gebrochenem, aber verständlichem Deutsch. Der sei doch nett gewesen. Mehr könne sie über ihn aber nicht sagen.

Die direkte Nachbarin des Verstorbenen in der zweiten Etage hat ihn nie gesehen. Seit anderthalb Jahren wohne sie dort. Da ist der Mann schon tot gewesen. Sie habe sich aber auch nie gefragt, wer hinter der Tür nebenan wohne, an der sie vorbeigehen muss, wenn sie das Haus verlassen will. Auch am bis heute mit Post überquellenden Briefkasten des Toten im Erdgeschoss hat sich offenbar niemand der Hausbewohner gestört - oder darüber gewundert.

Der Mann hat von einer kleinen Rente und von monatlicher Unterstützung durch das Sozialamt gelebt. Auch diesen beiden Behörden ist nichts aufgefallen; sie haben weiterhin das Geld überwiesen - auf das Konto eines Toten. Gleiches gilt für die Wohnungsbaugesellschaft, bei der er Mieter gewesen ist, denn durch einen Dauerauftrag ist die Miete jeden Monat pünktlich auf dem Konto des Unternehmens eingegangen. Erst als die Wohnungsbaugesellschaft Anfang 2016 die Miete erhöht und sich in der Folge Mietschulden anhäufen, handelt man. Nachdem auf die Zahlungsaufforderung nicht reagiert wird, lässt der Vermieter Ende 2017 das Schloss an der Wohnungstür austauschen. Aber in die Wohnung selbst schaut niemand. Anscheinend geht man davon aus, dass der Mieter nicht mehr dort wohnt. Am 16. Januar kommen dann die Handwerker, die die Wohnung renovieren sollen und dabei schließlich die Leiche entdecken.

"Leider gibt es so etwas immer wieder"

Für Priester Oliver Potschien, den man in Marxloh nur Pater Oliver nennt, ist das ein sehr trauriger Fall. "Leider gibt es so etwas immer wieder", sagt der Geistliche, der seit sechs Jahren das sozialpastorale Zentrum Petershof in dem Stadtteil leitet. Man unternehme viel, um solchen Schicksalen vorzubeugen. "Wir bieten jeden Tag Mittagessen für arme und alleinstehende Menschen im Stadtteil", sagt er. Zudem gebe es eine Reihe sozialer Projekte. "Wir können die Tür aber nur öffnen. Hindurchgehen muss man schon selbst", sagt er.

Bis auf den Namen des Verstorbenen und das Geburtsjahr weiß man kaum etwas über ihn. Auch im Internet findet sich kein einziger Hinweis. Eine Todesanzeige hat offenbar niemand aufgegeben. Nach den bisherigen Ermittlungen der Polizei soll er keine Verwandten haben.

Die Haustür des Mehrfamilienhauses steht an diesem Mittwoch offen. Jeder, der will, kann ins Gebäude gehen. Dem mehrsprachigen Hinweis an der Tür, diese doch bitte zu schließen, kommt man offenbar nur selten nach. Im Hausflur liegen viele Zeitungen, Werbeprospekte und Briefe. Einer davon ist an den verstorbenen Mieter adressiert. Er ist von den Stadtwerken.

(csh)
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