Zeitzeugenbericht Ununterbrochen bebte der Bunker

Duisburg · Unser Autor schildert hier seine Kindheitserinnerung an den Vorweihnachtsabend vor genau 75 Jahren. Damals wurde Duisburg von einem schweren Bombenangriff erschüttert.

 Duisburg nach der Bombennacht 1942. Dieses Foto zeigt einen zerstörten Straßenzug in Beeck. Kurt Sons verbrachte den Abend in einem Bunker.

Duisburg nach der Bombennacht 1942. Dieses Foto zeigt einen zerstörten Straßenzug in Beeck. Kurt Sons verbrachte den Abend in einem Bunker.

Foto: Andreas Probst

Beim großen Angriff am 6./7. September 1942 wurde das Schmuckstück Duisburgs, die Tonhalle, durch eine Minenbombe zerstört. Seit Kriegsbeginn war dies laut den Aufzeichnungen der Behörden der 131. Angriff auf unsere Stadt. Nun hofften alle auf Weihnachten ohne Fliegeralarm. Doch das war ein Trugschluss.

Am 20. Dezember waren meine Eltern und ich zum Geburtstag meiner Tante eingeladen. Wir saßen gerade beim Abendbrot, als die ersten Sirenen ertönten. Um 19.32 Uhr gab es Vollalarm, wir hatten weniger als 15 Minuten Zeit, um uns in Sicherheit zu bringen. Wegen meiner Gehbehinderung trug mich mein Vater zum Hochbunker an der Scharnhorststraße. Es gab am Eingang ein fürchterliches Gedränge. Die Sicherheitstüren waren noch nicht geschlossen, da fielen um 19.47 Uhr in unmittelbarer Nähe auch schon die ersten Bomben. Es war unglaublich. Ununterbrochen bebte der Bunker unter den Einschlägen bis in die Grundfesten. Wir dachten, er würde sich auf die Seite legen. Die Menschen schrien vor Angst oder beteten laut. Wegen der Überbelegung wurde die Luft immer stickiger. Viele kämpften gegen die Atemnot. Endlich ließ das Beben des Bunkers nach. Um 20.18 Uhr war der Angriff beendet.

Die Bunkerwarte öffneten vorsichtig die Türen der Sicherheitsschleusen. Wir drängten ins Freie und erstarrten. Der Himmel war blutrot gefärbt. Es knisterte von brennenden Materialien. Die Luft war Rauch geschwärzt. Viele brachen in Tränen aus, erbrachen sich oder starrten stumm in das Inferno. Der gesamte Bereich um den Innenhafen, die Beek- und Münzstraße mit dem Kaufhaus Horten: alles stand in Flammen. Auf der Münzstraße, im Café Queisser, hatte ich immer das Aquarium bewundert. Luftminen, Spreng- und Brandbomben hatten ihre zerstörerische Kraft bewiesen. Ich selbst war wie gelähmt. Noch heute sehe ich die Bilder vor mir, wenn ich die Ruhrorter Straße befahre. Die Oberleitung der Straßenbahn hing in bizarren Formen herunter, Ascheberge rieselten hernieder. Die Schwanentorbrücke war unpassierbar.

Die Schäden waren enorm. In nur 32 Minuten verloren 56 Menschen ihr Leben und Hunderte wurden verletzt. Auch die Sachschäden waren enorm. 47 Firmen erlitten erhebliche Sachschäden und Produktionsausfälle. Die Schäden am Stadttheater, an der Stadtbücherei und am Kaufhaus Horten gingen in die Millionen. 7813 Menschen verloren ihre Wohnung, 510 Häuser wurden beschädigt oder gar komplett zerstört. Die Gesamtschäden lagen im oberen zweistelligen Millionenbereich. Feuerwehren aus allen umliegenden Städten unterstützten die Duisburger Kräfte. Sogar aus Bad Rothefelde kamen Hilfskräfte. Auch diverse Bergungstrupps von Bergleuten waren in Duisburg im Einsatz, um die eingeschlossenen und verschütteten Menschen aus den Trümmern zu retten. Heute klingt es traurig, doch das war die Vorweihnachtszeit vor 75 Jahren.

(RP)
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