Duisburg Was hinter der Nolde-Rückgabe steckt

Duisburg · Wie berichtet, wird das Lehmbruck-Museum das Gemälde "Frauen im Blumengarten" von Emil Nolde, dessen Versicherungswert eine Million Euro beträgt, an die Erben von Eduard Müller zurückgeben. Mit Recht!

Das Faktum wurde bereits gemeldet: Das Lehmbruck-Museum wird Emil Noldes Gemälde "Frauen im Blumengarten", das bislang Bestand der Museumssammlung war, an die Erbengemeinschaft Eduard Müller zurückgeben. Das Museumskuratorium folgt mit dieser Entscheidung dem Gutachten der Berliner Historikerin und Restitutionsforscherin Beate Schreiber, die vom Lehmbruck-Museum beauftragt worden war, die Ansprüche der Erbengemeinschaft zu prüfen. Schreiber kam zu dem Ergebnis, dass die ursprünglichen Besitzer das 1916 entstandene Gemälde "NS-verfolgungsbedingt" verloren haben.

Wer das Gutachten von Beate Schreiber komplett liest, taucht in ein Kapitel aus dem Schwarzbuch deutscher Geschichte ein. Eduard Müller (Jahrgang 1869), der Besitzer des Nolde-Werks, war ein wohlhabender Direktor einer Zigarettenfabrik in Dresden. 1901 heiratete er seine Frau Rita (Jahrgang 1880), die aus Wien stammt. Aus der Ehe gingen die Zwillinge Kurt und Gertrud hervor. Aufgrund seiner Geburt in Böhmen hatte Eduard Müller nach 1918 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Neben einer Beteiligung an der Zigarettenfabrik besaß Eduard Müller mehrere Häuser in Dresden und eine Kunstsammlung, die u.a. auch Werke von Kokoschka enthielt. Die Familie wohnte in einer Villa.

Eduard Müller und seine Familie wurden ab 1933 in Deutschland als Juden verfolgt. Eduard Müllers Sohn Kurt leitete in Berlin ein Unternehmen für Reproduktionstechnik. Kurt Müller erkannte die Zeichen der Zeit und emigrierte zunächst nach Prag, wo er wiederum ein Geschäft für Reproduktionstechnik eröffnete. Seine Schwester Gertrud heiratete und zog mit ihrem Mann nach Budapest. Nachdem die Deutschen Teile der Tschechoslowakei besetzt hatten, verließ Kurt Müller Prag und emigrierte nach Ecuador, wo er mit einem Freund eine Textilfabrik eröffnete.

Beate Schreiber fand bei ihren Recherchen heraus, dass Eduard und Rita Müller zunächst nicht emigrieren wollten. Ritas hochbetagte Mutter sowie ihre Schwester und deren Tochter wurden von der Familie unterstützt. Eduard Müller wollte nicht sein Vermögen komplett verlieren, um dann in der Fremde im Alter von fast 70 Jahren völlig mittellos zu sein.

Bereits im Mai 1941 wurde Eduard Müller für zehn Tage in ein Dresdner Polizeigefängnis gesperrt. Nach seiner Entlassung aus der Haft versuchte das Ehepaar Müller, seinem Sohn nach Ecuador zu folgen. Eduard Müller verhandelte mit der Zigarettenfirma Reemtsma, ließ einen Teil seiner Pensionsansprüche kapitalisieren, um möglichst viel Bargeld zu bekommen. Offenbar musste er Unsummen an "Reichsfluchtsteuer und Judenvermögensabgabe" bezahlen. Letztlich scheiterte die Ausreise, die über Lissabon und Kuba nach Ecuador führen sollte.

Trotz aller sachlichen Nüchternheit, mit der die Forscherin Beate Schreiber die entscheidenden Sachverhalte rekapituliert, wirken die nun geschilderten Fakten erschütternd: Anfang 1942 durchsuchte die Gestapo die Villa der Müllers. Eduard Müller wurde verhaftet und von Dresden nach Auschwitz deportiert. Seine Frau bekam von dort einen Brief, in dem mitgeteilt wurde, dass ihr Mann am 24. Februar "gestorben" sei.

Nach dieser Nachricht versuchte Rita Müller, aus Dresden zu ihrer Tochter nach Budapest zu fliehen. Um Geld für ihre Flucht zu haben, verkaufte sie das Nolde-Gemälde an Hans Dittmayer. Es gibt keinen Anlass, Hans Dittmayer unredliche Motive zu unterstellen. Auch er litt unter den Nazis, da seine Frau nach den damaligen Rassegesetzen als Jüdin verfolgt wurde und Zwangsarbeit leisten musste. Allerdings wurde Dittmayer nach den Recherchen der Gutachterin kein Vermögen entzogen.

Rita Müllers Flucht misslang. Sie wurde an der Grenze zu Ungarn von einer Zollstreife aufgegriffen, zunächst nach Theresienstadt und dann ebenfalls nach Auschwitz deportiert. Dort wurde sie im Juli ermordet. Am 5. November 1942 wurde das Vermögen von Rita Müller "zugunsten des Reichs" eingezogen.

Das ist in aller Kürze die Geschichte der rechtmäßigen Besitzer des Nolde-Gemäldes.

Der für die Restitution entscheidende Satz im Gutachten von Beate Schreiber heißt: "Da der Verkauf 1942 stattfand und Rita Müller ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus nicht hätte fliehen müssen, handelt es sich nicht um einen rechtsgeschäftlichen Verlust, sondern um einen verfolgungsbedingten." Kurt und Getrud Müller machten 1958 erstmals Entschädigungsansprüche geltend. Unfassbar, was ihnen, deren Eltern in Auschwitz sterben mussten und deren Besitz, einschließlich der Häuser in Dresden, das Naziregime gestohlen hatte, zugebilligt wurde: "1431,80 DM wegen Vermögensschädigung aufgrund der Eingruppierung in eine höhere Steuergruppe für Juden ab 1. April 1939."

Einige Fragen bleiben nach den Recherchen der Gutachterin noch offen. So ist nach wie vor unklar, auf welche Weise das Nolde-Gemälde der Familie Dittmayer verloren ging. Die Gutachterin geht davon aus, dass Hans Dittmayer, der im Jahr 1946 starb, sein Vermögen nicht aufgrund nationalsozialistischer Verfolgung verloren hat, obwohl seine Frau als Zwangsarbeiterin von den Nationalsozialisten missbraucht wurde.

Doch was man bislang weiß, reicht aus, um keinen Zweifel daran zu haben, dass das Nolde-Gemälde, dessen Versicherungswert eine Millionen Euro beträgt, kein "unschuldiges" Eigentum des Museums bleiben darf.

(pk)
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