Duisburger Obdachloser schläft in der Kälte "Wenn ich ins Bett gehe, weiß ich nie, ob ich wieder aufwache"

Die vergangene Nacht war die kälteste in diesem Winter. Marcel K. aus Duisburg ist obdachlos und hat sie im Freien verbracht, obwohl er das eigentlich nicht müsste.

Jede Nacht, wenn Marcel K. schlafen geht, kriecht die Angst mit in seine Schlafsäcke. Die Angst, nicht mehr aufzuwachen. Der 36-Jährige ist obdachlos, will aber in keine Notunterkunft. Obwohl ihn das töten könnte.

Der 36-Jährige lebt mit vier Bekannten auf einer kleinen Brachfläche in Duisburg. Es ist ein provisorisches Zuhause im Windschutz einer kleinen Mauer, versteckt hinter Dornenbüschen.

Vier Zelte stehen hier. Ein grün-rotes, ein blaues, zwei graue. Ein Zelt ist mit einer großen blauen Plane abgedeckt, die den Wind abhalten soll. In der Mitte des Lagers gibt es eine Kochstelle. Zwei Kochplatten stehen da, darauf Pfannen, Töpfe und Teller. Das Wasser in der Blechdose, in der die vier Freunde ihr Besteck aufbewahren, ist zu einem Eisblock gefroren. "Irgendwelche Spinner haben uns vor kurzem auch noch Löcher in die Zeltwände geschnitten", erzählt K.

Sechs Schichten Kleidung

K. trägt sechs Schichten Kleidung. "Zwiebelprinzip", sagt er. Drei Jacken, zwei Pullover, T-Shirt, unter der Jeans eine Jogginghose — das sind seine Waffen gegen die Kälte. Wirklich warm werde es trotzdem nie. "Wenn du den ganzen Tag draußen bist, kriecht dir die Kälte überall hin", sagt er. "Da kannst du angezogen sein, wie du willst." Abends einzuschlafen sei momentan besonders schwer. "Wenn ich abends ins Bett gehe, weiß ich nie, ob ich am nächsten Morgen wieder aufwache."

Hier schläft Marcel K. Vier Zelte stehen im Halbkreis.

Hier schläft Marcel K. Vier Zelte stehen im Halbkreis.

Foto: th

Dabei müsste er nicht draußen schlafen, und auch niemand in der Stadt. In Duisburg gibt es 35 reguläre Notschlafplätze. In Kälteperioden wie dieser kommen noch einmal 26 Plätze hinzu. Die Nachfrage sei zwar hoch, doch bisher sei es noch nie vorgekommen, dass jemand abgewiesen werden musste, teilt die Stadt mit.

In die Notschlafstelle zieht K. trotzdem nichts. "Aufstockung heißt, dass da mehr Betten reingestellt werden", erklärt K., während er akkurat seine Schlafsäcke zusammenrollt. "Die Unterkünfte sind überfüllt und stickig. Außerdem darf man auch nur für eine Nacht bleiben. Geholfen ist mir damit nicht." Sein Lager sei wenigstens so etwas wie ein Zuhause.

"Das kann jedem passieren"

Wie viele Menschen in Duisburg auf der Straße leben, können weder Stadt noch Wohlfahrtsverbände genau beziffern. Sicher ist nur, dass es nicht wenige sind. Allein am Halteplatz des Kältebusses in der Innenstadt kommen Morgen für Morgen rund 20 Obdachlose zusammen.

Dorthin geht auch K.; am Kuhtor bekommen er und die anderen Obdachlosen Frühstück und eine Tasse Kaffee. Streetworker sprechen aus einem goldenen Bus heraus mit den Leuten. Es werden Decken verteilt. Man kennt sich hier. K.'s Kumpel sind ebenso dick eingepackt wie er. Alle stoßen beim Atmen weiße Wölkchen hervor. Es wird geklönt, gelacht und diskutiert wie überall sonst auch. Nur die Themen sind andere. Es geht um Schlafplätze, den Ärger mit den Notunterkünften und die besten Plätze fürs Schnorren. "Die Leute sind okay", sagt K. "Wir kennen uns alle. Und wenn es hart auf hart kommt, dann helfen wir uns auch." Am Kältewagen sind die Obdachlosen unter sich. Niemand schämt sich hier. Auch K. schämt sich nicht für sein Schicksal. "Wozu?", fragt er. "Das kann jedem passieren. Das geht ganz schnell."

Wie schnell, das belegt seine eigene Geschichte. Vor wenigen Jahren war bei Marcel K. noch alles in Ordnung. Er hatte eine Wohnung, einen Job beim Sicherheitsdienst und eine Familie. Doch von einem Tag auf den anderen ändert sich alles. Die Scheidung von seiner Frau wirft ihn aus der Bahn. Er verliert seinen Job und bald darauf auch sein Zuhause.

In der Zeit danach lernt er das Leben auf der Straße kennen. Und zunächst hat es für ihn auch etwas Schönes. K. schwärmt heute noch von Freiheit, genießt das Leben ohne Verpflichtungen. Er lernt viele neue Leute kennen, einige wenige werden sogar seine Freunde.

Nach diversen Gesprächen mit Streetworkern, alten Bekannten und durch die Gewalt auf der Straße wird ihm allmählich klar, dass er wieder zurück muss in ein geordnetes Leben. Dass er so nicht weitermachen kann. Doch der Weg zurück ist alles andere als einfach. Es dauert ganze zwei Jahre, bis der wieder eine Wohnung findet. Sein ehemaliger Chef hat ihm auch seinen alten Job wieder in Aussicht gestellt. Es läuft gut. Bis zu dem Tag, an dem die Wohnungsbesitzerin Eigenbedarf anmeldet. K. muss ausziehen. „Und für einen wie mich bedeutet das wieder die Straße“, sagt K

Probleme auf dem Wohnungsmarkt

Drei Wochen lebt er nun schon wieder draußen. "Ich finde einfach keine Wohnung", sagt K. "Es gibt kaum etwas für eine Person. Und wenn die Wohnung nur einen Quadratmeter zu groß ist, dann zahlt die Arge nicht." Auch die Aussicht auf seinen Job ist er wieder los. "Keine Wohnung heißt keine Anschrift heißt keine Arbeit. So einfach ist das."

Den Tag verbringt K. mit seinen Kumpels im Glashaus am Kuhtor. Sie quatschen und trinken Bier, schlagen irgendwie die Zeit tot. Später geht's weiter zum Bahnhof — Schnorren, also irgendwie an Geld und Essen kommen. "Jeder hat da seine Stellen", sagt K. "Zum Glück gibt es noch viele Menschen mit Herz. Verdursten oder Verhungern musst du auf der Straße nicht. Nur erfrieren, wenn du nicht aufpasst."

Gegen 1 Uhr nachts trifft sich K. mit seinen Kumpels wieder am Zeltplatz. Durchgefroren vom langen Tag öffnet er sein kleines Zelt und zieht Mütze und Schuhe aus. Dann legt er sich in sein karges Bett. Und wenn er die Augen schließt, dann weiß er, dass es das letzte Mal sein könnte.

(th)
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