Duisburg Zwischen Alltag und Bedrohung

Duisburg · Michael Rubinstein, bis Mai Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen, hielt jetzt die "Kanzelrede" in der Salvatorkirche. Er beklagt "wachsenden Antisemitismus".

 Michael Rubinstein beklagte in seiner Kanzelrede den "wachsenden Antisemitismus" aus der Mitte unserer Gesellschaft.

Michael Rubinstein beklagte in seiner Kanzelrede den "wachsenden Antisemitismus" aus der Mitte unserer Gesellschaft.

Foto: Sabine Merkelt-Rahm

"Nächstes Jahr in Jerusalem? Oder Zuhause in Deutschland?" war der Titel der Kanzelrede am Vorabend des Gedenktages an die Pogromnacht. Über jüdisches Leben zwischen Alltag und Bedrohung sprach Michael Rubinstein in der evangelischen Salvatorkirche Duisburg. Superintendent Armin Schneider begrüßte den ehemaligen Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde in Duisburg, als einen, "der viel bewegt hat für die Gemeinde und für die Stadt". Er nannte besonders den Bau des jüdischen Kindergartens als Zeichen, dass die Juden hier eine Heimat haben und in Zukunft haben wollen."

Rubinstein, der vor fünf Monaten eine Stelle als Geschäftsführer des jüdischen Landesverbandes Nordrhein in Düsseldorf angetreten hat, belegte das jüdische Alltagsleben mit Zahlen. "Die meisten Juden leben in unserem Bundesland", sagte er. Knapp 30.000 davon sind in den drei Landesverbänden organisiert, von denen Nordrhein mit 16.500 Mitgliedern in acht Gemeinden der größte ist. Deutschlandweit gibt es nach einer Statistik des jüdischen Wohlfahrtsverbandes knapp 100.500 Mitglieder jüdischer Gemeinden. Zu kämpfen haben die Gemeinden mit zunehmender Überalterung. 45 Prozent der Mitglieder sind über 60 Jahre alt. Seit der Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion in den 90er Jahren, die die Zahl der Gemeindeglieder mehr als verdreifacht hat, ist viel Zeit vergangen. Aber noch immer bereitet es Probleme, die zugewanderten Mitglieder zu ihren religiösen Wurzeln zurückzuführen. "Jahrzehntelanges Leben im Kommunismus bedeutete ein faktisch religionsfreies Leben", erläuterte er.

Er zeigte sich alarmiert über den wachsenden Antisemitismus, der sich vom Rand der Gesellschaft in ihre Mitte bewege. "Der Verfassungsschutz warnt vor einem Schulterschluss zwischen rechtsextremistischen Parteien und aufgepeitschten Bürgern", sagte er. Und fügte hinzu, das Wort "Jude" sei leider inzwischen als Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen in Gebrauch. In der jüdischen Gemeinschaft sähe man die neue deutsche Willkommenskultur angesichts der hohen Flüchtlingszahlen zwar als Wohltat, sei aber auch besorgt, weil viele Flüchtlinge die antisemitischen Einstellungen ihrer Heimatländer importieren könnten. Man dürfe sich nicht vor der Erkenntnis drücken, "dass Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus ein massives Problem unserer Gesamtgesellschaft" sei. Der titelgebende Satz: "Nächstes Jahr in Jerusalem", der am Seder-Abend Teil der jüdischen Passahfestliturgie ist, stehe für das himmlische Jerusalem und "die Erfüllung der prophetischen Vision, dass alle Völker zusammen den einen Gott bezeugen werden". Rubinstein setzt seine Hoffnung dabei mehr auf menschliche Kontakte, als auf staatliche: "Freundschaft gibt es nur zwischen Personen, Staaten können nicht befreundet sein."

Das Format der Kanzelrede, eingeführt anlässlich des Jubiläums "400 Jahre 1. Reformierte Generalsynode", hatte bereits 2010 durch Prominente wie Fritz Pleitgen, dem ehemaligen Thyssen-Krupp-Chef Ekkehard Schulz, Fernsehjournalist Ruprecht Eser oder Charlotte Knobloch großen Zuspruch erfahren. Auf der Kanzel der Salvatorkirche standen Prominente wie NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider, Prof. Dr. Udo Di Fabio oder NRW-Bildungsministerin Sylvia Löhrmann und sprachen als theologische Laien über Gott und die Welt. Die nächste Kanzelrede in der Salvatorkirche hält am Karnevalssonntag, 7. Februar, der Duisburger Kabarettist Kai Magnus Sting. Sein Thema: "Hat der liebe Gott Humor?"

(RP)
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