Andreas Mai "Andere Lösung ist nicht finanzierbar" Asyl: Rees hält an Sachleistungen fest

Rees · Sozialamtsleiter Michael Becker macht deutlich, dass die Stadt sich an den gesetzlichen Vorgaben orientiere.

 Andreas Mai ist Kämmerer der Stadt Rees.

Andreas Mai ist Kämmerer der Stadt Rees.

Foto: van Offern, Markus (mvo)

Die Flüchtlingsorganisationen weisen in der aktuellen Diskussion darauf hin, dass die Kosten kein Argument für Sachleistungen an Asylbewerber seien. Die Stadt Emmerich hat sogar auf Geld umgestellt, weil es günstiger ist.

Mai Da sprechen bei uns die Zahlen aber eine ganz andere Sprache. Wir bekommen vom Land nur zehn bis maximal 20 Prozent der Kosten erstattet, die für die Asylbewerber anfallen. Den Rest bezahlen wir voll aus der Stadtkasse.

Woran liegt das?

Mai Das Land zahlt nur für Flüchtlinge, die sich noch im Verfahren befinden. Bei uns ist es so, dass weit mehr als die Hälfte der Asylbewerber abgelehnt und eigentlich zur Ausreise verpflichtet ist. Sie verschwinden damit aus der Statistik des Landes. Für uns bedeutet das: Wir bekommen neue Flüchtlinge zugewiesen, für die abgelehnten müssen wir komplett selbst zahlen. Im Klartext: Über 50 Prozent der Flüchtlinge dürften eigentlich gar nicht mehr hier sein. Das ist ein Riesenproblem. Wer anerkannter Flüchtling ist, der bekommt oft sofort eine Wohnung und ist schnell integriert.

Warum reisen die abgelehnten Asylbewerber nicht aus?

Mai Weil sie gar nicht ausreisen wollen. Zwangsweise ausweisen kann nur der Kreis Kleve, weil er die zuständige Ausländerbehörde ist. Aber viele widersetzen sich der Ausreise. Manche geben falsche Namen an, andere sagen, sie haben ihre Papier verloren. Dadurch verzögert sich die Ausreise um Monate wenn nicht sogar Jahre. Und in dieser Zeit zahlt komplett die Stadt.

Aber warum ist das Sachleistungssystem günstiger?

Mai Die Sachleistungen im Shop holt sich nur ein Drittel der Flüchtlinge ab, da kann man sich ja schon mal die Frage stellen, woran das liegt. Wenn wir das Geld bar auszahlen würden, garantiere ich Ihnen, dass dann 100 Prozent ihre Kontonummer angeben würden. Ich habe mal durchgerechnet. Wenn wir die Forderung nach Geldleistungen und einer Wohnung für Flüchtlinge umsetzen würden, kostet uns das als Stadt 250 000 Euro an Mehrkosten im Jahr. Um das bezahlen zu können, bräuchte ich einen Finanzierungsvorschlag.

Attac verweist darauf, dass es in der Bundesrepublik genug Möglichkeiten gäbe, so etwas gegenzufinanzieren.

Mai Das mag sein. Das hilft mir aber hier vor Ort nichts, denn ich habe leider keinen Zugriff auf diese Gelder. Ich müsste die Summe komplett im kommunalen Haushalt gegenfinanzieren. Das würde in diesem Fall bedeuten, dass ich die Grundsteuer um 10 Prozent erhöhen müsste. Ich weiß nicht, ob das gewollt ist. Meine Meinung ist, dass wir uns als Kommune auf unsere Pflichtaufgaben und die Probleme vor Ort konzentrieren sollten. NRW sollte es machen wie die Bayern, dort ist der Bereich Asyl komplett in Landeshand und somit auch in der Landesfinanzierung.

DAS GESPRÄCH MIT DEM KÄMMERER ZUR AKTUELLEN ASYL-DEBATTE FÜHRTE SEBASTIAN LATZEL

Die Debatte um die Frage, ob Asylbewerber Geldleistungen bekommen sollen, ist in Rees voll im Gange. Wie berichtet, haben Flüchtlingsorganisationen und die Grünen bei einer Infoveranstaltung die Forderung nach einer Umstellung des Systems erneuert. In Rees können die Asylbewerber nach einem Punktesystem einmal in der Woche in einem Shop einkaufen. "Das ist unwürdig", ist die Meinung von Attac, Pro Asyl und den Grünen.

Verwiesen wird in dem Zusammenhang auf einen Erlass, den das Innenministerium Anfang Juni an die Bezirksregierungen geschickt hat. Die sollen diesen an die Kommunen weiterleiten. In diesem Schreiben wird darauf hingewiesen, dass "Analogleistungen für Asylbewerber grundsätzlich als Geldleistungen und nicht als Sachleistungen zu erbringen sind". Das Ministerium verweist dabei auf ein Urteil des Landesozialgerichtes von 2008. Diese Analogleistungen gibt es für Flüchtlinge, die schon 48 Monate Leistungen bezogen haben und ihren Aufenthalt nicht rechtsmissbräuchlich verlängert haben. "Dieses Schreiben stellt noch einmal eine Zusammenfassung der rechtlichen Lage da", erläutert Birgit Axler, Sprecherin des NRW Innenministeriums. Hintergrund sei die Koalitionsvereinbarung, in der verankert ist, dass alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollen, damit Asylbewerber Geldleistungen bekommen. "Wir wollen den Kommunen die aktuelle rechtliche Lage noch einmal zur Kenntnis geben", sagt die Sprecherin. Man wolle damit auf Spielräume hinweisen. Generell sei es aber so, dass das Bundesverfassungsgericht die Sachleistungen nicht in Frage gestellt habe. Eben darauf beruft sich auch Rees. Denn nach dem Gesetz seien Sachleistungen der Vorrang zu geben. "Wir müssen hier ganz genau zwischen zwei verschiedenen Personenkreisen unterscheiden", erläutert Sozialamtsleiter Michael Becker. So genannte Analogleistungen würden für Flüchtlinge gezahlt, die 48 Monate da sind. "Sie bekommen dann auch bei uns Geld und die Möglichkeit, in eine Wohnung zu ziehen." Aktuell sei das wieder bei einer Familie im Flüchtlingsheim der Fall.

Anders sehe die Situation bei Asylbewerbern aus, die noch nicht so lange hier sind oder die abgelehnt sind. Für sie sehe das Gesetz keine Analogleistungen vor. Sie bekommen in Rees Sachleistungen, dazu gibt es noch ein Taschengeld.

"Wir sehen weiterhin keinen Anlass, das bestehende System zu ändern. Aus unserer Sicht hat es sich bewährt, dass die Flüchtlinge über das Punktesystem im Shop einkaufen können", so Becker.

Der Erlass beziehe sich eben auch nur auf die Flüchtlinge, die schon 48 Monate Leistungen bezogen haben. Wer Rees, aus welchen Gründen auch immer, verlasse und dann wieder zurückkehre, für den beginne die 48-Monats-Frist von vorn.

(RP)
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